März 1999

990307

ENERGIE-CHRONIK


Streit um Durchleitungen nach Berlin: Kartellamt leitete Mißbrauchsverfahren ein

Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) vereinbarte am 10.3. mit dem Berliner Abgeordnetenhaus dessen Belieferung mit Strom sowie den Bau einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des Abgeordnetenhauses. Der Vertrag gilt ab 1. April für fünf Jahre. Der Parlamentspräsident Herwig Haase erhofft sich dadurch eine annähernde Halbierung der bisherigen Stromkosten in Höhe von jährlich 390 000 Mark. Das Geschäft wurde von der Stromhandelsfirma Ampere AG (980714) vermittelt (Tagesspiegel, 11.3.; SZ, 11.3.).

Kurz darauf wurde bekannt, daß auch der Berliner Pharmakonzern Schering AG seine bisherigen Verträge mit dem örtlichen Stromversorger Bewag zum 30. September gekündigt hat und mit dem Wechsel zur EnBW als neuem Stromlieferanten einen "hohen sechsstelligen Betrag" einsparen will (Stuttgarter Zeitung, 15.3.).

Bewag beruft sich auf Netzengpaß

Der Berliner Stromversorger Bewag kündigte im ersten Fall zunächst eine Klage wegen Vertragsbruchs an, da ein mit der Stadt Berlin 1998 geschlossener Vertrag auch für das Abgeordnetenhaus gelte. Am 17.3. teilte er dann aber mit, daß eine Durchleitung für im Westteil der Stadt ansässige Kunden in keinem Fall möglich sei, weil es aus den bekannten historischen Gründen bisher nur eine einzige Leitung zum übrigen Verbundnetz gebe, die hundertprozentig ausgelastet sei. "Erst wenn ganz Berlin von beiden Seiten über die unterirdische 380-kV-Diagonale in das Stromverbundnetz eingebunden ist, können wir weiteren Strom von außen hereinleiten", erklärte Bewag-Vorstand Bruce Jones gegenüber dem Tagesspiegel (18.3.). Man werde deshalb auch sonstige Durchleitungsanträge wie die von RWE Energie oder Vasa Energy bis Ende 2000 ablehnen müssen, soweit sie Kunden im Westteil der Stadt betreffen. Aber auch im Osten der Stadt behalte sich die Bewag das Recht vor, Durchleitungsanträge abzulehnen, wenn dadurch "unsere umweltfreundlichen Heizkraftwerke oder die Braunkohleverstromung gefährdet sind" .

Die EnBW bezeichnete die Argumentation der Bewag als "nicht nachvollziehbar". Der Berliner Stromversorger greife jetzt nach dem "Strohhalm angeblicher Netzengpässe", nachdem er mit dem Versuch gescheitert sei, den Energiewettbewerb durch Berufung auf Schutzklauseln (981213) fernzuhalten. Auch Vasa Energy sprach von einer gesetzwidrigen Blockadepolitik. Die EnBW reichte Beschwerde beim Bundeskartellamt ein, ebenso der frühere Abteilungsleiter für Energiefragen beim Bundeskartellamt, Kurt Markert, der sich als Privatperson engagiert (981212) und für seinen Zwei-Personen-Haushalt ab 1. Mai einen Liefervertrag mit RWE Energie abgeschlossen hat (SZ, 19.3.; Handelsblatt, 24.3.).

Das Bundeskartellamt will das nun eingeleitete Mißbrauchsverfahren gegen die Bewag sowie einige andere Musterfälle möglichst schnell entscheiden. Bereits seit Februar ist ein Mißbrauchsverfahren gegen die EnBW anhängig, die eine Durchleitung für die Stadtwerke Waldshut-Tiengen unter Berufung auf bestehende Verträge ablehnt (990215). Die Mannheimer MVV hat Beschwerde eingelegt, weil ihr die Stadtwerke Karlsruhe die Durchleitung für ein Krankenhaus verweigern. Ferner wird beim Kartellamt unter anderen auf die Hamburger HEW verwiesen, die Berliner Standorte von Daimler-Chrysler mit Strom versorgen will (Berliner Zeitung, 26.3.; FAZ, 26.3.).