April 1995

950403

ENERGIE-CHRONIK


Mainz erneut zu Schadenersatz für Stillstand von Mülheim-Kärlich verurteilt

Das Land Rheinland-Pfalz muß der RWE Energie den Schaden, der durch die Stillegung des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich entstanden sind, zur Hälfte ersetzen. So entschied am 19.4. das Oberlandesgericht Koblenz. Es bestätigte insoweit das Urteil des Landgerichts Mainz vom Juni 1992, beschränkte aber den Schadenersatzanspruch, den die erste Instanz auch für nicht erzeugten Strom anerkannt hatte, auf die Investitionskosten. Die RWE Energie schätzt die sich daraus ergebende Schadenersatzleistung auf etwa vier Milliarden Mark. Die rheinland-pfälzische Landesregierung beschloß am 25.4. unter Vorsitz von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen (FAZ, 20.4.; Handelsblatt, 20.4.; Welt, 20.4.; DPA, 25.4.).

Das Gericht begründet den Schadenersatzanspruch der RWE Energie mit der fehlerhaften ersten Teilgenehmigung, die 1975 von der Landesregierung des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) "schuldhaft fahrlässig" erteilt worden sei. Die Genehmigung war angefochten und 1988 vom Bundesverwaltungsgericht für ungültig erklärt worden, was dazu führte, daß das neue Kernkraftwerk ein knappes Jahr nach seiner Inbetriebnahme abgeschaltet wurde und seitdem stillsteht. Nach Ansicht des Gerichts muß sich aber auch das RWE vorhalten lassen, daß die Änderungen bei der Plazierung des Kernkraftwerks, die zur Fehlerhaftigkeit der ersten Teilgenehmigung führten, seinerzeit auf seinen Wunsch erfolgt seien, und deshalb die Hälfte des Schadens selber tragen (siehe auch 931212, 930511, 930302 u. 920607).

Die Süddeutsche Zeitung (20.4.) findet es nicht in Ordnung, "daß ein von Geldsorgen keineswegs geplagter Konzern einem von Geldsorgen durchaus geplagten Land nun ganz dreist den Schwarzen Peter für seine eigenen Aktivitäten zuschiebt".

Für die Frankfurter Rundschau (20.4.) liegt der eigentliche Skandal um Mülheim-Kärlich darin, "daß das RWE die diskreten Drähte nach Mainz, die das Wohlverhalten der damals CDU-geführten Landesregierung sicherten, nun als Stolperdraht für das (atom)politisch gewendete Land benutzt".