Januar 1994

940110

ENERGIE-CHRONIK


Minister weist neue Vorwürfe wegen Kernkraftwerk Obrigheim zurück

Nach Darstellung des Spiegel (24.1.) wird das Kernkraftwerk Obrigheim seit mehr als 25 Jahren mit Sicherheitsmängeln betrieben. Vor allem seien Deckel und Wände des Reaktordruckbehälters dünner als im Errichtungsgutachten des TÜV Baden angegeben. Das Blatt stützt sich dabei auf einen Bericht, den der für Obrigheim zuständige Projektleiter im baden-württembergischen Umweltministerium, Walter Friedrich, im Juni 1992 für Umweltminister Harald Schäfer (SPD) erstellt hat. Der grüne Landtagsabgeordnete Rezzo Schlauch warf deshalb Schäfer vor, er habe in voller Kenntnis dieser Mängel gehandelt, als er 1992 die unbefristete Betriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk erteilte.

Schäfer erklärte dazu, daß die jetzt bekanntgewordene Mängelliste längst "abgearbeitet" sei. Es habe kein Anlaß bestanden, deshalb die endgültige Betriebsgenehmigung zu verweigern. Schäfer warf den Grünen "Effekthascherei" vor und forderte sie auf, "bei der Beurteilung von Sicherheitsfragen seriös zu bleiben und nicht mit den existentiellen Ängsten der Menschen zu spielen". Eine ganz andere Sache sei es, generell "aus der Atomenergie heraus zu wollen". Dieses Ziel strebe er nach wie vor an, meinte Schäfer, der auch der SPD-Delegation bei den gescheiterten Verhandlungen über einen Energiekonsens angehört hatte (Stuttgarter Zeitung, 22.1.; FR, 24.1.; FAZ, 25.1.; DPA, 25.1.).

Das Kernkraftwerk Obrigheim verfügt über eine Leistung von 350 Megawatt und ist seit 1968 in Betrieb. 1987 fanden die Grünen heraus, daß die Anlage rein formal niemals eine abschließende Dauergenehmigung erhalten hatte. Ihre Rechtsauffassung, daß der Betrieb der Anlage deshalb illegal sei, wurde vom Verwaltungsgerichtshof in Mannheim in zwei Urteilen bestätigt. Daraufhin ordnete der damalige Umweltminister Vetter (CDU) die Stillegung des Reaktors an. Das Bundesverwaltungsgericht hob im Juni 1991 die Stillegungsverfügung wieder auf, da im Atomgesetz nicht definiert sei, wann ein Probebetrieb zu Ende sei. Im August 1992 sprach sich Umweltminister Schäfer für die Erteilung einer unbefristeten Betriebsgenehmigung aus, die dann von Wirtschaftsminister Dieter Spöri (SPD) erteilt wurde (siehe 910712 u. 920804).

Die Frankfurter Rundschau (24.1.) meinte zu den neuen Vorwürfen: "In der Tat kann man nur staunen beim Blättern in den Unterlagen, die jetzt der Presse zugespielt wurden. Sie künden reichlich von Unterlassungen, Merkwürdigkeiten und Schlampereien, und zwar sowohl bei den Betreibern und Erbauern als auch bei den Kontrolleuren des TÜV und des früher zuständigen Sozialministeriums. ... Indessen müßte Umweltminister Harald B. Schäfer erst einmal in der Sache widerlegt werden mit seiner Feststellung, es drohe nach übereinstimmender Ansicht der Fachleute keine Gefahr."