Oktober 1991

911001

ENERGIE-CHRONIK


Möllemann legt Energiekonzept vor mit Option für neue Kernkraftwerke

Bundeswirtschaftsminister Möllemann (FDP) hat am 25.10. ein Energiekonzept veröffentlicht, das bei der Energieversorgung im vereinten Deutschland weiter auf die Nutzung der Kernkraft setzt, während die Bedeutung der heimischen Kohle stark zurückgehen soll. Der Entwurf wurde den beteiligten Bundesministerien zugeleitet und soll noch in diesem Jahr von der Bundesregierung verabschiedet werden.

Auf weitere Entlassungen von Bergleuten könne nicht verzichtet werden, heißt es in dem Bericht, doch enthält er keine konkreten Zahlen zu den angepeilten Fördermengen des deutschen Steinkohlebergbaus mit seinen noch 127.000 Beschäftigten. Die Braunkohleförderung in Ostdeutschland werde in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts von derzeit noch 250 Millionen auf weniger als 150 Millionen Tonnen jährlich sinken. Die Zahl der Beschäftigten in der Braunkohlenindustrie verringere sich damit von rund 80.000 auf weniger als 50.000, doch werde die ostdeutsche Braunkohle bis weit über die Jahrtausendwende hinaus einen wichtigen wettbewerbsfähigen Beitrag in der Verstromung leisten. Die bestehenden Kernkraftwerke sollen bis zum Ende ihrer Nutzungsdauer in Betrieb bleiben. Mitte der neunziger Jahre soll über Ersatzkapazitäten entschieden werden. Möllemann will ferner die Option für den Bau neuer Kernkraftwerke offenhalten, da die Kernkraft im Gegensatz zu Kohle und Öl die Umwelt nicht mit Kohlendioxid belaste. Er erwartet ferner, daß die Bundesländer konstruktiv an der Bereitstellung von Endlagern für die nuklearen Abfälle mitarbeiten (FAZ, 26.10.; FR, 26.10.; dpa, 25.10.).

Scharfe Kritik von IG Bergbau und SPD

Der Vorsitzende der IG Bergbau, Hans Berger, bezeichnete das Möllemann-Konzept als "ganz böse Provokation". Die Gewerkschaft werde die vorgesehenen Massenentlassungen nicht mittragen. Berger warnte insbesondere davor, "den Ausbau der Kernenergie zu Lasten der Kohle zu forcieren". Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfrak-tion, Harald Schäfer, warf Möllemann vor, daß er trotz der ungelösten Entsorgung und des hohen Risikos weiter auf die Kernenergie setze. Außerdem habe er zu niedrige Kohlemengen vorgegeben und den künftigen Energieverbrauch zu hoch angesetzt (SZ, 28.10.).

Im Kommentar der Frankfurter Allgemeinen (26.10.) heißt es: "Die Nutzung aller Energiequellen ist wahrscheinlich das Vernünftigste, zu dem sich ein Minister entschließen kann, der im politischen Kategoriendreieck aus Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit für das Energieangebot einer modernen Volkswirtschaft verantwortlich ist. ... Wer die These vertritt, mit jeder Nutzung der Kernkraft tappe der frevelnde Mensch kollektiv, unabänderlich und seiner Natur gemäß im unbeleuchteten Vorzimmer seiner eigenen Untergangsstation herum, der darf sich nicht wundern, wenn er nicht ganz ernst genommen wird. Die Angst vor einem Unfall beim Hantieren mit der Atomenergie ist produktiv, wenn sie zu Schutznormen führt, die das Menschenmögliche an Sicherheit versprechen. Auch dadurch sind die anspruchsvollen Normen in der Bundesrepublik entstanden. Ängste jedoch, die sich von jedem Wahrscheinlichkeitskalkül ins rational Unbegreifbare verlagern, werden in der theoretischen Diskussion unangreifbar, in der praktischen Sicherheitsdebatte aber unbrauchbar."

Für die Süddeutsche Zeitung (26.10.) ist "die Einsicht, daß die von Möllemann angestrebte Versöhnung von Ökonomie und Ökologie vor allem in der Energiepolitik notwendig sei, richtig und wichtig. ... Dennoch wimmelt es in dem Konzept von Widersprüchen: Warum wird der Förderung der erneuerbaren Energien das Wort geredet, während tatsächlich nicht die Wind- und Sonnenenergie die meisten Mittel des Forschungsetats auf sich vereinen, sondern fragwürdige Raumfahrtprojekte? Warum wird die Kernenergie immer noch als preisgünstigere Energiequelle bezeichnet, obwohl die Kosten der Entsorgung zur Zeit noch in die Zukunft verlagert werden?"

Nach Ansicht der Frankfurter Rundschau (29.10.) hat Möllemann seine "Hausaufgaben nicht gemacht", wie sich an der zurückhaltenden Reaktion von RWE-Chef Gieske ablesen lasse: "Was man in Essen davon hält, enthüllt Gieske mit der Bemerkung, daß es nicht die Aufgabe des von ihm geführten Vorstandes sei, ëjeden Zwischenschrittí zu kommentieren. Deutlicher drücken sich höfliche Leute kaum aus. Denn was Gieske meint, heißt nichts anderes, als daß der Möllemann-Entwurf noch weit von dem entfernt ist, was den Namen Energiekonzept verdient. Wenn ihm nämlich die Bergleute, die SPD und die Unternehmen das Papier - bildlich gesprochen - um die Ohren hauen, dann kann mit diesem irgend etwas nicht in Ordnung sein. Ein Beispiel Gies-kes verdeutlicht, was vor allem fehlt: Aussagen über den Beitrag der einzelnen Energieträger zur Versorgung, und zwar möglichst auf längere Sicht. Denn es ist zweifellos einzusehen, wenn ein Manager sich nicht mit einer Absichtserklärung zufriedengeben will, daß vielleicht bis zur Jahrtausendwende noch Braunkohle zur Stromversorgung verwendet werden soll. Eine solche Zeitspanne ist zu kurz, um hohe Investitionen zu rechtfertigen."