September 1991

910910

ENERGIE-CHRONIK


Angst vor dem Treibhauseffekt bringt Kernenergie wieder ins Gespräch

Angesichts der drohenden Aufheizung der Atmosphäre, die vor allem den Kohlendioxid-Emissionen der fossilen Brennstoffe angelastet wird, kommt die Kernenergie wieder verstärkt ins Gespräch. Der Club of Rome zählt in seinem neuesten Bericht die Verhinderung der Klimakatastrophe zu den dringendsten Aufgaben. Neben einer weltweiten Kampagne für das Energiesparen und einem Crash-Programm zur Entwicklung der regenerativen Energien sieht er auch triftige Gründe, die nukleare Option offenzuhalten: "Viele von uns betrachten die Verbreitung von Atomkraftwerken seit langem mit Skepsis. Heute jedoch räumen wir widerwillig ein, daß die Verbrennung von Kohle und Öl ... für die Gesellschaft noch gefährlicher ist als die Atomkraft" (Spiegel, 9.9.).

Mehr Kernkraftwerke - weniger CO2

Der Ausstoß an Kohlendioxid ist um so geringer, je stärker ein Land mit Strom aus Kernenergie versorgt wird. Unter den Industriestaaten weisen deshalb Frankreich, Belgien, (Süd-)Korea, Schweden und Ungarn die geringste Pro-Kopf-Belastung mit CO2 auf. Diese Mitteilung machte der US Council of Energy Awareness, eine Lobbyvereinigung der US-Elektroindustrie. Die Untersuchung wurde vom Oak Ridge National Laboratory durchgeführt und basiert auf den Ergebnissen des Jahres 1989. Sie führt deshalb noch die ehemalige DDR auf, und zwar an der Spitze der Tabelle. Die Entwicklungsländer wurden nicht berücksichtigt (Handelsblatt, 6.9.).

Der baden-württembergische Ministerpräsident Teufel (CDU) führt es ebenfalls auf die überdurchschnittlich hohe Nutzung der Kernenergie im Südwesten zurück, daß in diesem Gebiet die Belastung der Einwohner mit Kohlendioxid erheblich unter dem deutschen Durchschnitt liege. Dennoch ist er der Meinung, daß die Nutzung der Kernenergie nur noch für eine Übergangszeit zu verantworten sei (FAZ, 6.9.).

Die Kernenergie werde die dominierende Stromquelle der Zukunft sein. Ohne sie könne der Energiebedarf der wachsenden Weltbevölkerung und längerfristig auch der Frieden nicht gesichert werden. Diese Ansicht vertrat Hans Christian Müller von der Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW) bei der Jubiläumsveranstaltung "100 Jahre Drehstrom" des Verbands Deutscher Elektrotechniker in Frankfurt am Main (FAZ, 4.9.).

Mehrheit für Weiterbetrieb von KKW

Von den Bundesbürgern befürwortet eine deutliche Mehrheit, nämlich 61%, den Weiterbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke. Dies ergab eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Deutschen Atomforums. Rund 30% der Befragten votierten für den Weiterbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke, 28% für Ersatzbauten und 6% für den Bau neuer Kernkraftwerke. Für den völligen Verzicht auf Kernenergie und die Stillegung der bestehenden Anlagen plädierten 28% der Befragten. Nur 8% waren jedoch überzeugt davon, daß es tatsächlich zum Ausstieg kommen wird (Welt, 13.9.).

Weltweite Sicherheits-Konvention geplant

Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll eine Konvention mit weltweiten Sicherheitsnormen für Kernkraftwerke verabschiedet werden. Dies beschloß eine internationale Konferenz bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), die auf Initiative Deutschlands und mit Unterstützung der anderen EG-Staaten in Wien stattfand. Die 400 Teilnehmer aus 43 Ländern folgten damit einem Vorschlag, den ihnen Bundesumweltminister Töpfer unterbreitet hatte. Die sowjetische Delegation erklärte erstmals die Bereitschaft Moskaus, alle 16 Reaktoren des "Tschernobyl-Typs" von der IAEO auf ihre Sicherheit überprüfen zu lassen (SZ, 4.9.; Handelsblatt, 10.9.).

"Diese beiden Ergebnisse der fünftägigen Konferenz machen deutlich, daß alle kernkraftwerksbetreibenden Länder die Verantwortung einer globalen Sicherheitspartnerschaft akzeptieren", meinte dazu das Handelsblatt (10.9.). "Gleichzeitig ist allerdings zu sehen, daß beim Einsatz von Kernkraftwerken kein Nullrisiko erreichbar ist."

Neue Investitionen in Kernkraft

Die deutsche Energiewirtschaft will sich an der Entwicklung neuer Reaktoren beteiligen. Dies beschloß der Fachausschuß Kernenergie der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) Anfang September. Gemeinsam mit Frankreich soll ein neuer 1300 MW-Reaktor entwickelt werden. Daneben will man sich das Know-how für Reaktoren mit kleinerer Leistung sichern, wie sie derzeit in den USA entwickelt werden (Stuttgarter Zeitung, 19.9.).

Badenwerk und EVS rücken zusammen

Im Südwesten wollen Badenwerk und Energieversorgung Schwaben (EVS) ihre Kernkraftaktivitäten zusammenfassen. An der zu gründenden GmbH wollen sich auch die Neckarwerke, Esslingen, und die Technischen Werke Stuttgart (TWS) beteiligen. Ein erster Vorstoß zum Zusammenrücken der beiden größten baden-württembergischen Stromunternehmen war 1989 am Widerstand des Badenwerks gescheitert (Börsen-Zeitung, 14.9.; SZ, 16.9.).

Bei einer Fusion von Badenwerk und EVS würden Umsatz und Stromleistung des neuen Energiekonzerns etwa denen des benachbarten Bayernwerks entsprechen, bemerkte dazu die Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung (21.9.). Das Blatt verwies darauf, daß das Badenwerk Anteile an den französischen Kernkraftwerken Cattenom und Fessenheim hält sowie noch immer über den Kraftwerksstandort Wyhl verfüge, "der, so hoffen die Strommanager insgeheim, irgenwann einmal wieder aktiviert werden könnte".

Endgültiges Aus für KKW Greifswald

Das Kernkraftwerk Lubmin bei Greifswald wird endgültig stillgelegt und soll mit einem Aufwand von vier bis fünf Milliarden DM entsorgt werden. Dies teilte Bundesumweltminister Töpfer in Bonn mit. Eine Analyse der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) habe ergeben, daß auch der fünfte und vergleichsweise beste Block der Anlage nicht den bundesdeutschen Sicherheitsansprüchen genügt (SZ, 11.9.; FR, 11.9.).

Die Frankfurter Rundschau (11.9.) kommentierte: "Wo wir gerade beim Bezahlen sind: Auf die vier, fünf Milliarden kommt es auch nicht mehr an. Immerhin gibt es eine Gegenleistung. Entweder eine grüne Wiese in Greifswald oder ein rotes Atommuseum im Betonsarg, auf jeden Fall aber die Gewißheit, daß Bonn nicht auf Staatsreaktoren sitzen bleibt, sondern 'nur' auf einem Haufen strahlendem Schrott und 700 Tonnen alten Brennstäben."