März 2024

240301

ENERGIE-CHRONIK


Bundesrechnungshof sieht Energiewende "nicht auf Kurs"

Der Bundesrechnungshof hat am 7. März zum fünften Mal einen Bericht vorgelegt, der die Umsetzung der Energiewende kritisiert, weil sie zu schleppend verlaufe, Risiken für die Versorgungssicherheit berge und zu hohe Kosten verursache. Nach den beiden schwarz-roten Regierungen unter Angela Merkel gilt diese Kritik nun aber der Ampelkoalition, die erklärtermaßen mit dem Ziel angetreten ist, die Energiewende endlich zu beschleunigen. Ausgerechnet ihr wirft der Bericht nun vor, sie tue zu wenig, um ein drohendes Scheitern zu verhindern.

"Die Energiewende ist bei der Stromversorgung nicht auf Kurs", heißt es in der Zusammenfassung des 58 Seiten umfassenden Papiers. "Die Versorgungssicherheit ist gefährdet, der Strom ist teuer und Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt kann die Bundesregierung nicht umfassend bewerten. Insgesamt haben sich die Risiken seit der letzten Prüfung des Bundesrechnungshofes im Jahr 2021 verschärft. Die Bundesregierung muss umgehend reagieren, andernfalls droht die Energiewende zu scheitern. Dies hätte gravierende Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland, die gesellschaftliche Akzeptanz der Transformation sowie das Erreichen der Klimaschutzziele." (PDF)

Habeck wundert sich über "Wahrnehmung, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat"

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) befand sich gerade auf einer viertägigen Reise in den USA, als der Bericht veröffentlicht wurde. "Den Bericht des Bundesrechnungshofs habe ich zur Kenntnis genommen, mehr aber auch nicht", erklärte er dazu. Es falle ihm schwer, die Sichtweise der Behörde nachzuvollziehen. Es handele sich um "eine erstaunliche Wahrnehmung, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat".

Auch der BDEW hält die Kritik der Behörde für überzogen

"Es sind sehr wohl Energiewende-Fortschritte sichtbar", widersprach der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) am selben Tag dem Bericht. Die Bedingungen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien im Strombereich hätten sich deutlich verbessert. Auch beim Stromnetzausbau gebe es erkennbare Fortschritte. Die vom Bundesrechnungshof befürchtete "Versorgungslücke" im Stromsystem sei aus Sicht der Branche nicht zu erkennen. In einzelnen Punkten sei die Kritik des Bundesrechnungshofs sicher berechtigt. So müsse die Bundesregierung jetzt Tempo machen, um den Zubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke zu ermöglichen. Aber auch hier werde andernfalls nicht die sichere Stromversorgung gefährdet, sondern lediglich der vorgezogene Kohleausstieg. Ferner müsse es weitere Vereinfachungen bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren geben. "Bei aller berechtigten Kritik in einzelnen Punkten schießt der Bundesrechnungshof mit seiner Generalkritik über das Ziel hinaus", resümierte die BDEW-Chefin Kerstin Andreae.

Unionsparteien beantragten "Aktuelle Stunde" im Bundestag

Tatsächlich enthält der Bericht des Bundesrechnungshofs kaum neue Gesichtspunkte, die über die in den Vorjahren geäußerte Kritik hinausgehen (210404, 190708, 180902, 170102). Vor allem finden sich keine einleuchtenden Belege für die Behauptung, dass die Energiewende noch mehr als zu Zeiten der Vorgänger-Regierungen vom richtigen Kurs abgekommen sei und deshalb zu scheitern drohe. Die CDU/CSU nahm den Bericht dennoch zum Anlass, um für die Bundestagssitzung am 14. März eine "Aktuelle Stunde" zu beantragen, weil die "verschärften Risiken der Energiepolitik der Bundesregierung" nun durch den Bundesrechnungshof "amtlich" bestätigt worden seien.

Habeck überließ die Stellungnahme seinem Parlamentarischen Staatssekretär

Robert Habeck machte erneut deutlich, dass er die Kritik des Bundesrechnungshofs sozusagen für nicht satisfaktionsfähig hält, indem er dieser Sitzung fern blieb. Ersatzweise schickte er seinen Parlamentarischen Staatsekretär Michael Kellner (220104), der auf die real erzielten Fortschritte verwies: So sei 2023 bei Solaranlagen ein Zubau von 14,6 Gigawatt erreicht und damit das bei Regierungsantritt ins Auge gefasste Ziel von 9 Gigawatt (220104) bei weitem übertroffen worden. Ein großer Erfolg sei auch, dass inzwischen 70 Prozent der Solaranlagen mit Speichern gebaut würden. Bei Windkraft an Land sei immerhin eine Steigerung des Zubaues gegenüber dem Vorjahr um die Hälfte festzustellen (240111, 231013). Und trotz der ab Jahresbeginn erfolgten Wiederanhebung des CO2-Preises (231201) seien die Energiepreise im Februar im Vergleich zum Januar gesunken. Das gelte auch für private Stromverträge, die für Neukunden aktuell schon für 25,6 Cent pro Kilowattstunde zu haben seien. – Bei diesem Punkt scheint Kellner allerdings ohne Not übertrieben und irgendein Bonus-Angebot für bare Münze genommen zu haben, denn nach der neuesten Strompreisanalyse des BDEW zahlte ein Drei-Personen-Haushalt noch im Januar durchschnittlich 42,22 Cent pro Kilowattstunde, wenn zu drei Vierteln die Wahltarife und zu einem Viertel die Grundversorgungstarife zugrunde gelegt werden, wie es der gegenwärtigen Kundenstruktur entspricht (240206).

Nina Scheer hat den Verdacht, dass die Energiewende mit einer Neubelebung der Kernenergie gekoppelt werden soll

Die SPD-Abgeordnete Nina Scheer stellte in der "Aktuellen Stunde" fest, dass die aktuelle Kritik des Bundesrechnungshofs "keinen Widerhall in der Wissenschaft" gefunden habe. Zugleich erlaubte sie sich den Hinweis, dass der Rechnungshof-Präsident Kay Scheller vor zehn Jahren als CDU-Politiker zu seinem Amt gelangt war (170102). Die sachliche Unbegründetheit seiner jetzigen Kritik am aktuellen Kurs der Energiewende und die Vagheit der vom Bundesrechnungshof geforderten Umkehr gäben deshalb Anlass zu der Vermutung, dass es eigentlich um etwas ganz anderes gehen könnte, nämlich um die Neubelebung der Kernenergie, wie sie die Unionsparteien neuerdings sogar in ihren Grundsatzpapieren fordern (240105).

Die Union reagierte auf die Erwähnung von Schellers Parteibuch mit Zurufen wie "Das ist eine Unverschämtheit!" sowie dem Hinweis auf die Mitgliedschaft des Bundesnetzagentur-Präsidenten Klaus Müller bei den Grünen (220105). Der CDU-Abgeordnete Andreas Jung verwies anschließend in seiner Rede darauf, dass der Bundesrechnungshof vor drei Jahren, "als wir noch regiert haben", auch die damalige schwarz-rote Koalition mit Peter Altmaier (CDU) als Wirtschaftsminister kritisiert habe (190708). Damit habe Kay Scheller alle Zweifel an seiner Unabhängigkeit "eindrucksvoll ausgeräumt".

AfD lobt den Bericht als Bestätigung für "Sabotagepolitik" der Regierung

Der AfD-Abgeordnete Steffen Kotré, den die Rechtsextremisten regelmäßig als pöbelnden "Energieexperten" ans Rednerpult schicken (230907, 191101), lobte das Papier des Bundesrechnungshofs als "realistische Bewertung" und als "Bescheinigung" dafür, dass die Bundesregierung eine "Sabotagepolitik an unserer Energieversorgung" betreibe. Außerdem sei er der Behörde sehr dankbar dafür, dass sie endlich mit der "ganz großen Lüge" aufgeräumt habe, die Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie sei billiger. Kotré meinte damit eine eher beiläufige Bemerkung auf Seite 10 des Berichts, wonach "außerhalb der Fachöffentlichkeit ein falsches Bild der Kosten" entstehe, wenn das Bundeswirtschaftsministerium die niedrigen Stromgestehungskosten der Erneuerbaren hervorhebe, ohne den notwendigen Netzausbau und andere Folgekosten zu berücksichtigen. Auch der Bundesrechnungshof bezweifelt also keineswegs, dass Windkraft- und Solaranlagen den Strom wesentlich billiger erzeugen als fossile oder nukleare Wärmekraftwerke.

"Nein, das ist nicht richtig!" stellte deshalb der FDP-Abgeordnete Michael Kruse sogleich per Zwischenruf fest. Laut Bundestagsprotokoll bekräftigte daraufhin der AfD-Abgeordnete seine eigenwillige Interpretation mit einer noch kühneren Behauptung: "Das hat jetzt eben auch der Bundesgerichtshof festgestellt." Vermutlich handelte es sich um einen Versprecher, obwohl Kotré den Lapsus selber nicht korrigierte. Immerhin widersprach er aber nicht, als ihn die SPD-Abgeordnete Marianne Schieder per Zwischenruf darauf hinwies, dass er soeben noch vom Bundesrechnungshof geredet hatte, sondern machte ungerührt mit seiner Suada weiter.

Der Bundesrechnunghof ist zwar unabhängig, die Besetzung des Chefpostens aber eine politische Entscheidung

Ähnlich wie die Bundesnetzagentur (231109) ist der Bundesrechnungshof eine oberste Bundesbehörde mit weitgehender Unabhängigkeit. Die Bundesregierung darf der Behörde, die an ihrem Sitz in Bonn sowie an ihren Außenstellen in Potsdam und Berlin über tausend Mitarbeiter beschäftigt, keine Weisungen erteilen. Ihre Arbeit und den Zuständigkeitsbereich regelt vielmehr ein spezielles Gesetz. Eine zulässige und gewollte politische Einflußnahme gibt es allerdings bei der Besetzung des Chefpostens: Der Präsident der Behörde wird auf Vorschlag der Bundesregierung von Bundestag und Bundesrat für eine Amtszeit von jeweils zwölf Jahren gewählt. Zuletzt war das der derzeitige Präsident Kay Scheller, der im April 2014 die Nachfolge des SPD-Mitglieds Dieter Engels antrat und dessen Amtszeit im Mai 2026 enden wird. Zuvor hatte Scheller als Fraktionsdirektor die Arbeit von CDU und CSU im Bundestag koordiniert. Von den acht früheren Präsidenten gehörten jeweils einer der SPD bzw. der FDP an. Die restlichen sechs waren der Union zuzurechnen (davon einige mit NS-Vergangenheit).

Mit der Warnung vor der Wiederaufarbeitung traf der Rechnungshof einst ins Schwarze

Der Bundesrechnungshof hat in den zurückliegenden Jahrzehnten wiederholt zu energiepolitischen Entscheidungen Stellung bezogen, wobei die Kritik meistens zu Recht erfolgte. Zum Beispiel wies er 1993 unter dem Präsidenten Heinz Günter Zavelberg (CDU) darauf hin, daß sich das unsinnige und hochgefährliche Konzept der Wiederaufarbeitung auch wirtschaftlich nicht lohnte (930905). Unter dem Präsidenten Dieter Engels (SPD) beanstandete er völlig zu Recht die Vergeudung von Steuergeldern für Steinkohle-Reklame (050804), das Finanzgebaren der "Deutschen Energie-Agentur" (070410) oder den Ankauf von "Ökostrom"-Zertifikaten durch die Bundeswehr (131205).

Berechtigte Kritik am Verlauf der Energiewende war nicht durchgängig richtig adressiert und endete mit einem Zerrbild

Nicht ganz so plausibel wirkte dagegen die erste Kritik an der Energiewende, die der Bundesrechnungshof unter Schellers Leitung 2017 übte und den damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) für Fehlsteuerungen verantwortlich machte, die ihm Vorgänger von FDP und CSU hinterlassen hatten (170102). Denn gerade Gabriel und sein Staatssekretär Baake hatten notwendige Reformen wie die Umstellung der EEG-Förderung auf Ausschreibungen eingeleitet. Überzeugender wirkte der Bundesrechnungshof, als er auch die folgende schwarz-rote Koalition kritisierte, in der mit Peter Altmaier ein CDU-Politiker als Bundeswirtschaftsminister amtierte: Zum einen ging es um die üppigen Prämien für den Kauf von Elektroautos, die lediglich Mitnahmeeffekte zur Folge hatten (180801). Zum anderen griff der Bundesrechnungshof erneut eine Reihe bekannter Schwachpunkte der bisherigen Energiepolitik auf und rieb sie nun Altmaier unter die Nase, indem er die Energiewende durch Mangel an Koordinierung, Steuerung und Transparenz bedroht sah (180902). Prinzipiell richtig waren auch die folgenden Beanstandungen des schleppenden Netzausbaus (190708) und der übermäßigen staatlichen Belastung der Strompreise (210404), obwohl die Behörde ihre fachlichen Kompetenzen überschritt, wenn sie etwa durch die Verzögerungen beim Netzausbau zwangsläufig die Versorgungssicherheit gefährdet sah.

Mit seiner jetzigen Totalkritik an der Energiepolitik der Ampelkoalition wildert der Bundesrechnungshof noch mehr in einem Gehege, das eigentlich der Bundesnetzagentur vorbehalten ist. Wenn von dieser fachlich zuständigen Behörde jetzt und auch künftig keine derart vernichtende Beurteilung zu erwarten ist, wird man das kaum damit begründen können, dass ihr Präsident ein Mitglied der Grünen ist und von der gegenwärtigen Regierung ernannt wurde (220105). Es hat vor allem damit zu tun, dass der aktuelle Bericht des Bundesrechnungshofs ein Zerrbild entwirft.

 

Links (intern)

Link (extern, ohne Gewähr)