Juni 2019

Hintergrund

ENERGIE-CHRONIK


 


Gut die Hälfte der weltweiten Treibhausgas-Emissionen entfallen auf China, die USA und die EU. Dann folgen Russland, Indien und Japan. Deutschland steht auf der Liste alle Staaten an sechster und innerhalb der EU an erster Stelle.
Quelle: COP 21

CO2-Abgabe ist effizienter als Emissionshandel

(zu 190604, 190605 und 190603)

"Es gibt nichts Gutes – außer man tut es", befand Erich Kästner vor siebzig Jahren. Von Klimaschutz war damals noch keine Rede. Das Zitat passt aber sehr gut zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen: Entweder erfolgt diese rasch oder es wird sehr ungemütlich auf diesem Planeten. Auf der Liste der weltweit größten CO2-Emittenten steht Deutschland an sechster Stelle. Angeführt wird diese von China, den USA und Russland. Auch Indien und Japan belasten die Atmosphäre noch stärker. Alle EU-Staaten zusammen belegen weltweit den dritten Platz (siehe Grafik 1). Das darf indessen weder für Deutschland noch für die EU in ihrer Gesamtheit ein Grund sein, die eigenen Anstrengungen zum Klimaschutz von entsprechenden Vorleistungen der USA und Chinas abhängig zu machen. Und schon gar nicht darf man mit dem Argument kommen, dass die Erneuerbaren-Förderung in Deutschland letztendlich sinnlos sei, weil den Nutzen lediglich jene fußkranken EU-Mitglieder hätten, die dann wegen nachlassenden Preisdrucks ihre Emissionsberechtigungen billiger einkaufen könnten.

Mit dem Argument des Emissionshandels sollte der Erneuerbaren-Förderung der Garaus gemacht werden

Dieses verquere Argument wurde tatsächlich über viele Jahre hinweg strapaziert. Zum Beispiel bezeichnete der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium schon 2004 das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das vor zwei Jahren in Kraft getreten war, als "höchst ineffizienten und letztlich wirkungslosen Versuch, das Weltklima zu schützen". Es werde nämlich durch den ab 2005 beginnenden Handel mit Emissionszertifikaten konterkariert. Sobald dieser Mechanismus funktioniere, werde der Beitrag des EEG zur Verminderung der CO2-Emissionen auf Null absinken. Die gezielte Erneuerbaren-Förderung müsse dann "im Interesse von ökonomischer Rationalität und ökologischer Vernunft abgeschafft werden" (040304).

Als dann die erste Periode des Emissionshandels begonnen und mit einer jämmerlichen Bauchlandung geendet hatte (050901, 060501, 070502, 070903), entblödete sich eine Riege neoliberaler Wirtschaftsprofessoren nicht, ihn weiterhin als alleinseligmachendes Instrument zu empfehlen. Ebenso wie zuvor der ministerielle Beirat forderten die acht Professoren die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), weil es mit dem Emissionshandel kollidiere und die teilweise hohen Vergütungen für wenig ertragreiche Bereiche wie die Photovoltaik ohnehin "keine rationale Form der Klimapolitik" seien. Es verhalte sich nämlich so, dass die deutschen Stromerzeuger die mit Hilfe des EEG erzielten Emissionsminderungen in Form von dadurch freiwerdenden CO2-Zertifikaten an andere Branchen oder ins EU-Ausland verkaufen würden. Das EEG bewirke deshalb lediglich eine Verlagerung von CO2-Emissionen aus dem Bereich der Stromwirtschaft in andere Branchen oder EU-Länder. Per Saldo werde "tatsächlich nicht eine einzige Tonne Kohlendioxid eingespart" (090308) .

Weil der Emissionshandel nicht griff, konnte sich auch der "Wasserbett-Effekt" nicht auswirken

Hier wurde also der "Wasserbett-Effekt" ins Feld geführt, der dem bisherigen Modell des Emissionshandels tatsächlich immanent ist und der deshalb aktuell zu Befürchtungen führt, dass er den von Deutschland geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung konterkarieren könnte (190603). Dieser Effekt ist freilich nur dann relevant, wenn der Emissionshandel nicht bloß formal funktioniert, sondern auch inhaltlich greift. Das war aber nicht der Fall: Mehr als zwölf Jahre lang, über drei Handelsperioden hinweg, dümpelte der Preis für eine Emissionsberechtigung von einer Tonne CO2-Äquivalent (EUA) auf einem viel zu niedrigen Niveau, um eine klimaschützende Wirkung entfalten zu können. Deshalb war auch der "Wasserbett-Effekt" rein theoretischer Natur. Umso wirksamer war der mit dem EEG betriebene Ausbau der erneuerbaren Stromquellen, der tatsächlich einen deutlichen Rückgang der energiewirtschaftlichen CO2-Emissionen zur Folge hatte.

 

Ihren bislang niedrigsten Stand erreichten die deutschen Treibhausgas-Emissionen vor zehn Jahren. Seitdem waren aber keine weiteren Fortschritte zu verzeichnen. Die Emissionen wurden zeitweilig sogar um 6,7 Millionen Tonnen größer. Bei der vom Umweltbundesamt angegebenen Minderung für das Jahr 2018 handelt es sich vorläufig nur um eine "Nahzeitprognose", die mit teilweise witterungsbedingten Rückgängen bei Energiewirtschaft und Haushalten begründet wird (siehe auch Tabelle mit detaillierteren Angaben für die Jahre 1990 bis 2016).
Quelle: Umweltbundesamt

Deutsche Klimabilanz stagniert seit zehn Jahren wegen Anstiegs der Nicht-ETS-Emissionen

Allerdings wurde dabei gern übersehen, dass der größere Teil der Treibhausgas-Emissionen nicht aus den Schornsteinen von Kraftwerken und ähnlichen Großfeuerungsanlagen kommt – und dass Deutschland sich verpflichtet hat, seine CO2-Emissionen in diesem Bereich gegenüber dem Stand von 2005 erheblich zu senken: Um 14 Prozent bis 2022 und um 38 Prozent bis 2030. Bei Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen – die in ähnlicher Weise auch für andere EU-Staaten gelten – droht ein Vertragsverletzungsverfahren mit Strafzahlungen. Ersatzweise müsste die Bundesregierung Milliarden an Steuergeldern ausgeben, um Polen, Bulgaren oder Rumänen ihre unverbrauchten Emissionsrechte abzukaufen. Bei der Festlegung dieser Verpflichtungen brauchten nämlich alle osteuropäischen Länder überhaupt keine Abstriche vorzunehmen, sondern durften ihre Emissionen um bis zu 20 Prozent erhöhen (siehe 181004 und Tabelle).

Die CO2-Minderungen im Energiesektor wurden deshalb durch Zunahmen in jenen Wirtschaftsbereichen kompensiert, die nicht dem Emissionshandel unterliegen und in denen es auch keine wirksameren Instrumente nach Art des EEG gibt. Aus diesem Grund sind in der deutsche Gesamtbilanz beim Klimaschutz schon seit zehn Jahren keine Fortschritte mehr zu verzeichnen (Grafik 2).

Als Vorbild für eine CO2-Lenkungsabgabe könnte die Schweiz dienen

Vor diesem Hintergrund will sich die schwarz-rote Koalition ernsthafter als bisher darum bemühen, ihre klimaschutzpolitischen Grundsätze mit tatsächlichen Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen zu untermauern. Sie denkt dabei vor allem an die Einführung einer CO2-Lenkungsabgabe in jenen Sektoren, die nicht vom Emissionshandel (ETS) erfaßt werden, aber den Großteil der Treibhausgase freisetzen. Aus diesen Bereichen stammten im vergangenen Jahr insgesamt 64 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen. Größer Emittent war die Industrie (22,6 %), gefolgt vom Verkehr (18,7 %), Gebäuden (13,5 %) und Landwirtschaft (8,1 %). Dagegen hatten fossil befeuerte Kraftwerke und andere Großfeuerungsanlagen, die seit 2005 dem ETS unterliegen, nur einen Anteil von 36 Prozent an den Gesamtemissionen (Grafik 5).

Als Vorbild könnte die Schweiz dienen, die seit langem eine CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe erhebt, die derzeit 96 Franken pro Tonne Kohlendioxid beträgt. Der Staat behält diese Einnahmen aber nicht, sondern zahlt sie über die Krankenversicherung zu zwei Dritteln an die Bürger zurück. Mit dem restlichen Drittel fördert er die energetische Effizienz von Gebäuden. In Deutschland könnte man stattdessen die hohe Belastung der Stromverbraucher durch EEG-Umlage und Stromsteuer senken.

 

Noch Ende 2017 dümpelte der Preis einer Emissionsberechtigung (EUA) für eine Tonne CO2-Äquivalent im einstelligen Euro-Bereich. Erst aufgrund einer mühsam durchgesetzten Reform des ETS-Systems (140109, 150706, 171105, 180210, 180604) zog er Anfang 2018 allmählich an und liegt derzeit bei 25 Euro. Eine Garantie für wirksamen Klimaschutz in der ab 2021 beginnenden vierten Handelsperiode ist das aber noch lange nicht.
Quelle: EEX

Der soziale Ausgleich darf keine Mogelpackung sein

Sinnvoll und politisch durchsetzbar wäre eine zusätzliche CO2-Bepreisung jedenfalls nur, wenn die damit erzielten Einnahmen den betroffenen Bürgern an anderer Stelle wieder zugute kämen. Das haben nicht zuletzt die massiven Proteste der "Gelbwesten" in Frankreich gezeigt, nachdem die Regierung dort einen CO2-Aufschlag einführte, der mit der Verteuerung von Benzin und Diesel eine unsoziale Lastenverteilung bewirkte bzw. noch verstärkte (190316). Der soziale Ausgleich darf auch nicht in der Form einer Mogelpackung daherkommen, wie dies seinerzeit die Schröder-Regierung tat, als sie die Erhöhung der MIneralölsteuer und die Neueinführung der Stromsteuer unter dem Tarnanstrich eines "Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform" verschwinden ließ (siehe Hintergrund, Juli 2010).

Außerdem müßte die CO2-Lenkungsabgabe so bemessen sein, dass sie tatsächlich eine Minderung der Treibhausgas-Emissionen bewirkt. Nach dem schweizerischen Modell wären das 86 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent – also ein vielfaches des Preises, den bisher eine entsprechende Emissionserlaubnis für Kraftwerke und andere Großfeuerungsanlagen kostet. Dieser bewegte sich seit der Einführung des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS) im Jahr 2005 meistens im einstelligen Bereich, und das über alle drei Handelsperioden hinweg (siehe Grafik 3). Erst nach einer mühsam durchgesetzten Reform kletterte er voriges Jahr allmählich in den zweistelligen Bereich und beträgt derzeit etwa 25 Euro (siehe Grafik 4).

Bisherige Emissionsminderungen sind nicht auf das ETS, sondern auf das EEG zurückzuführen

Das Emissionshandelssystem hat bisher nicht nennenswert zu einer Minderung der Treibhausgasemissionen beigetragen, sondern kläglich versagt. Das müsste eigentlich auch jener Wirtschaftsredakteur der "Frankfurter Allgemeinen" wissen, der am 14. Juni in einem Leitartikel auf der ersten Seite des Blattes die Ausweitung des ETS auf die anderen Wirtschaftsbereiche empfahl. Er begründete die angebliche Wirksamkeit des ETS damit, dass seit 2005 der CO2-Ausstoß der deutschen Kraftwerke deutlich gesunken sei.

Daran stimmt nur soviel, dass in Deutschland seit der Einführung des ETS die energiebedingten Emissionen um rund 22 Prozent zurückgegangen sind (siehe Grafik 5). Es wäre aber ziemlich blauäugig, aus dieser zeitlichen Korrelation auf einen ursächlichen Zusammenhang zu schließen. Andernfalls ließe sich ein Anstieg der Geburtenrate bei gleichzeitiger Vermehrung der Störche auch als Beleg dafür werten, dass der Storch tatsächlich die Kinder bringt.

Tatsächlich gibt es keine stichhaltigen Belege dafür, dass der kontinuierliche Rückgang der Kohlendioxid-Emissionen deutscher Kraftwerke auf den Handel mit Emissionszertifikaten zurückzuführen ist (140406). Dafür drängt sich umso mehr der Eindruck auf, dass es sich bei dem 2005 eingeführten ETS um ein von Anfang verkorkstes System gehandelt hat, das über fast drei Handelsperioden hinweg aufrechterhalten wurde, obwohl allerlei Geschäftemacher und Kriminelle davon sicher mehr profitierten als das Klima (siehe Hintergrund, November 2017).

 

Diese Grafik veranschaulicht, wie wenig sich die Gesamthöhe der Treibhausgas-Emissionen in den vergangenen Jahren verändert hat. Rechts sind die regierungsamtlichen Minderungsziele aus dem "Klimaschutzplan 2050" zu sehen. Von der bis 2020 vorgesehenen Minderung um 40 Prozent gegenüber 1990 hat sich die schwarz-rote Koalition inzwischen vorsorglich verabschiedet. Die Minderung um 55 Prozent bis 2030 will sie aber "auf jeden Fall erreichen". Da die Legislaturperiode schon sieben Jahre früher endet, geht sie mit diesem Versprechen kein allzu großes Risiko ein...
Quelle: Umweltbundesamt

Ohne gründliche Reformen konterkariert der Emissionshandel sogar den Kohleausstieg

Das Grundübel war der ständige Überfluss an Emissionsberechtigungen. Erst zehn Jahre nach der Installierung des Systems machten sich die Politiker in Brüssel allmählich Gedanken über die Notwendigkeit einer Verknappung, Dann dauerte es noch weitere Jahre, bis die zaghaften Reformen umgesetzt waren und Wirkung zeigten. Noch Anfang 2018 dümpelte der Preis für eine Emissionsberechtigung bei acht Euro. Erst dann zog er allmählich an. Aber das ist noch lange keine Garantie dafür, dass der Emissionshandel in der 2021 beginnenden vierten Handelsperiode tatsächlich greifen wird. Und falls er tatsächlich greift, könnte er sogar den für das Jahr 2038 geplanten Kohleausstieg in Deutschland zum "Schlag ins Wasserbett" machen, sofern er zuvor nicht nochmals gründlich reformiert wird (190603).

Ein genauso monströser wie ineffizienter Mechanismus

Grundsätzlich ist der Handel mit Emissionszertifikaten auch nichts anderes als eine CO2-Bepreisung. Man hat daraus allerdings einen unnötig komplizierten Mechanismus gemacht und mit dubiosen Zutaten wie "Joint Implementation" zusätzlich Sand ins Getriebe gestreut. Eine direkte CO2-Bepreisung wäre nicht derart zu manipulieren gewesen. Man wird deshalb den Verdacht nicht los, dass dieser genauso monströse wie ineffiziente Mechanismus von mancher Seite sogar erwünscht war, um eine wirksame CO2-Bepreisung zu verhindern und die Nutzung fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung möglichst lange aufrechtzuerhalten. Diesem Verdacht setzen sich nun auch Teile der Union und die FDP aus, wenn sie die Ausdehnung des Emissionshandels auf den Nicht-ETS-Bereich als das alleinseligmachende, weil "marktwirtschaftliche" Instrument propagieren.

 

 

Um eine klimaschützende Wirkung zu haben, hätte ein EUA-Zertifikat mindestens 20 bis 30 Euro kosten müssen. In der ersten Handelsperiode (2005 bis 2007) wurde dieses Preisniveau nur solange erreicht, bis sich herumsprach und von der EU-Kommission bestätigt wurde, das anstelle des vermeintlichen Mangels ein Überschuß an Zertifikaten bestand. Darauf folgte ein schlagartiger Absturz. Zum Schluß bewegten sich die Preise wenige Cent über null , da unverbrauchte Zertifikate noch nicht durch neue Papiere für die folgende Handelsperiode ersetzt wurden.

Die in dieser Grafik sichtbare Lücke bis Januar 2009 entstand dadurch, daß wegen der verzögerten Ausgabe für die zweite Handelsperiode kein Spothandel stattfand. Anschließend erreichte der Preis für ein EUA-Zertifikat im März 2011 den Maximalwert von 17,28 Euro, um dann bis auf weniger als die Hälfte abzusinken. In der ab 2013 folgenden dritten Handelsperiode, die bis heute andauert, waren gut acht Euro bis Ende 2017 der Höchstpreis. Meistens kostete ein Zertifikat deutlich weniger, im Extremfall sogar nur 1,9 Euro.