März 2018

180305

ENERGIE-CHRONIK


50Hertz steuert das ostdeutsche Übertragungsnetz von einer Schaltwarte in Neuenhagen bei Berlin
Foto: 50Hertz

Belgier kommen Chinesen zuvor und erhöhen Mehrheitsbeteiligung an 50Hertz

Der belgische Übertragungsnetzbetreiber Elia wird seine Mehrheitsbeteiligung an der ostdeutschen 50Hertz Transmission GmbH auf 80 Prozent erhöhen. Wie er am 23. März mitteilte, macht er von dem ihm zustehenden Vorkaufsrecht Gebrauch, um den 20-Prozent-Anteil zu erwerben, den der australischen Infrastrukturfonds IFM verkaufen möchte. Er kommt damit der State Grid Corporation of China (SGCC) zuvor, die bei dem ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber einsteigen wollte (180205).

Binnen acht Jahren stieg der Unternehmenswert um das Sechsfache

Der belgische Netzbetreiber zahlt für die zusätzliche Fünftel-Beteiligung 976,5 Millionen Euro und wird die ostdeutsche Tochter künftig in seiner Bilanz voll konsolidieren. Diese Summe ist gut doppelt so hoch wie die 486 Millionen Euro, die Elia im März 2010 für die Mehrheitsbeteiligung von 60 Prozent aufwenden mußte. Der Gesamtwert des Unternehmens ist demnach von 810 Millionen auf 4,88 Milliarden Euro gestiegen und sechsmal höher als vor acht Jahren. Das wirft nebenbei ein bezeichnendes Licht auf die jüngste Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das die relativ bescheidenen Abstriche an den Netzrenditen in der neuen Regulierungsperiode für rechtswidrig erklärte, weil die Bundesnetzagentur den "Wagniszuschlag" für das unternehmerische Risiko im regulierten Netzgeschäft zu niedrig angesetzt habe (180306).

Wurden die Chinesen absichtlich ins Spiel gebracht, um den Preis hochtreiben zu können?

Allerdings wurde der Preis für den 20-Prozent-Anteil erst zuletzt so hoch. Ursprünglich soll er "nur" 600 bis 650 Millionen Euro betragen haben. Da Elia mit der Ausübung des Vorkaufsrechts zögerte, könnte die chinesische SGCC vom Miteigentümer IFM absichtlich ins Spiel gebracht worden sein, um den Preis hochzutreiben. Die Chinesen eignen sich für eine solche Rolle besonders gut, weil sie sich weltweit bereits bei mehreren nationalen Netzbetreibern eingekauft haben. So etwas weckt Ängste vor chinesischem Dominanzstreben und ist geeignet, politischen Druck auf den Mehrheitseigentümer auszuüben.

Grüne halten Schwellenwert von 25 Prozent für zu niedrig

In einer Kleinen Anfrage vom 14. März verlangte die Bundestagsfraktion der Grünen Auskunft darüber, welche Schritte die Bundesregierung unternommen habe, "um den Einstieg von SGCC bei 50Hertz zu beeinflussen oder zu verhindern". Die Abgeordneten zeigte sich besorgt darüber, dass das Bundeskartellamt den geplanten Anteilsverkauf an SGCC freigegeben habe und eine Prüfung ausländischer Direktinvestionen im Bereich der sogenannten Kritischen Infrastruktur aufgrund der Außen-Wirtschaftsverordnung erst ab einem Schwellenwert von 25 Prozent der Stimmrechte möglich sei.

Wirtschaftsministerium soll bei Elia interveniert haben

Presseberichten zufolge hat Staatssekretär Matthias Machnig vom Bundeswirtschaftsministerium bei Elia vorgesprochen und um Ausübung des Vorkaufsrechts gebeten. Offiziell bestätigen wollte das Ministerium diese Meldung nicht. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff applaudierte jedoch: "Es ist unser ureigenstes deutsches Interesse, dass kritische Infrastruktur im europäischen Stromsystem langfristig vor externen Einflüssen geschützt wird." Das Wirtschaftsministerium habe in den letzten Monaten "gute Arbeit geleistet".

Kapitaleigner haben beim Netzbetrieb nicht mitzureden

Allerdings ist kaum anzunehmen, daß Elia knapp eine Milliarde Euro deshalb investiert, weil die Bundesregierung darum gebeten hat. Zu einer politischen Intervention bestand auch wenig Anlass, denn auf das regulierte Netzgeschäft haben die Kapitaleigner keinen nennenswerten Einfluss. Ihre Rolle beschränkt sich im wesentlichen darauf, die garantierten Renditen auf das eingebrachte Kapital zu kassieren. Selbst unter einem chinesischen Mehrheitseigentümer hätte 50Hertz die gesetzlichen Vorgaben und Anweisungen der Bundesnetzagentur zu befolgen. Für eine Fünftelbeteiligung gilt das erst recht.

Die deutsche Tochter ist deutlich größer als ihre belgische Mutter

Elia und IFM halten ihre Beteiligungen an der 50Hertz Transmission GmbH nicht direkt, sondern über die gemeinsame Gesellschaft Eurogrid International, die künftig zu 80 Prozent Elia und zu 20 Prozent dem australischen Infrastrukturfonds gehören wird. Im vergangenen Jahr erzielte Elia aus der sechzigprozentigen Beteiligung an 50Hertz einen Nettogewinn von 180 Millionen Euro, während das eigene Geschäft in Belgien nur etwa 107 Millionen Euro abwarf. Generell war das Geschäft der deutschen Tochter von Anfang an deutlich größer als das der belgischen Mutter. Mit dem Erwerb von weiteren 20 Prozent wird sich 50Hertz in der Konzernbilanzbilanz noch gewichtiger auswirken. Vorsorglich versicherte Elia, dass diese Transaktion den Aktionären zugute komme und keine Auswirkungen auf die regulierten Netzengelte in Belgien bzw. Deutschland haben werde.

Das belgische Unternehmen entstand 2001 aus der Zusammenlegung der Transport- und Verteilnetze, die bis dahin von den beiden Stromversorgern Electrabel und SPE betrieben wurden. Das Kapital des Unternehmens gehörte zunächst zu 70 Prozent den früheren Netzbetreibern und zu 30 Prozent der kommunalen Vereinigung Publi-T. Mittlerweile ist Publi-T mit 44,97 Prozent der dominierende Eigentümer, während der SPE-Nachfolger Publipart 2,51 Prozent besitzt. Weitere größere Aktionäre sind Katoen Natie (6,95 Prozent), Interfin (4,27 Prozent) und Belfus Insurance (1,86 Prozent). Elia betreibt das Hoch- und Höchstspannungsnetz in Belgien sowie fast alle Leitungen der Mittelspannung.

50Hertz gehörte bis 2010 dem Vattenfall-Konzern

Die 50Hertz Transmission GmbH entstand Anfang 2010 aus der Umbenennung der bisherigen Vattenfall Europe Transmission GmbH (100116). Sie wurde damals schon seit eineinhalb Jahren zum Verkauf angeboten (080702) und sollte zunächst für 500 Millionen Euro einem Finanzkonsortium überlassen werden (091101), bevor sie Im März 2010 für 810 Millionen Euro an die heutigen Eigentümer ging (100307).

Auch E.ON (091101) und RWE (110705) trennten sich damals von ihren Übertragungsnetzen, obwohl sie trotz der strenger gefaßten Entflechtungsvorschriften weiterhin Eigentümer und Nutznießer hätten bleiben können, wie das bei der EnBW mit der TransnetBW (110705,120401) bis heute der Fall ist. Zum Teil erfolgten diese Verkäufe auf Druck der EU-Kommission, die dafür auf die Ahndung von Verstößen verzichtete. Das Hauptmotiv war aber, dass den Energiekonzernen die Renditen im Netzgeschäft zu gering erschienen und sie die Erlöse aus dem Verkauf lieber in Kraftwerke und das scheinbar weit lukrativere Geschäft mit der Stromerzeugung investierten. – Ein fataler Irrtum, der einmal mehr die Fehlentscheidungen von Managern illustriert, die nicht über den Tellerrand eines kurzfristigen "shareholder value" und ihrer eigenen Boni hinauszublicken vermögen.

Nachfolgerin des DDR-Verbundnetzes

Historisch ging 50Hertz aus dem Verbundnetz der ehemaligen DDR hervor: Nach der "Wende" wurde dieses 1990 in die neu gegründete Vereinigte Energiewerke AG (VEAG) überführt, und zwar einschließlich der Großstromerzeugung, die auch bei den anderen Verbundunternehmen mit dem Netzbetrieb verflochten war. Die VEAG gehörte zunächst der sogenannten Treuhandanstalt, während PreussenElektra, RWE und Bayernwerk die Geschäftsbesorgung übernahmen. Im September 1994 wurde sie dann für sechs Milliarden Mark einem Konsortium verkauft, in dem alle westdeutschen Verbundunternehmen vertreten waren (940901). Acht Jahre später ging sie zusammen mit Bewag, HEW und Laubag in der "Vattenfall Europe AG" auf , mit der sich der schwedische Vattenfall-Konzern als dritte Kraft am deutschen Strommarkt zu positionieren versuchte (020802). Zugleich kam es – gemäß den Entflechtungsvorschriften für den liberalisierten Energiemarkt – zur Aufspaltung des Verbundunternehmens VEAG in die Vattenfall Europe Transmission GmbH für das Übertragungsnetz und drei andere Vattenfall-Gesellschaften für den Bereich Stromerzeugung (020802). Als reinen Übertragungsnetzbetreiber gibt es 50Hertz somit seit knapp 16 Jahren.

 

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