Juni 2017

170612

ENERGIE-CHRONIK


Elektrodenkessel "verbraten" 120 MW Strom zu Fernwärme

Der Vattenfall-Konzern will auf dem Gelände des Heizkraftwerks Reuter West in Berlin-Spandau drei Elektrodenkessel errichten, die mit einer Leistung von jeweils 40 MW alle bisherigen Anlagen dieser Art in Deutschland übertreffen. Wie er am 1. Juni mitteilte, wird er dafür in den kommenden zwei Jahren nahezu 100 Millionen Euro aufwenden. Die drei Kessel ergeben zusammen eine Wärmeleistung von 120 MW, die in das Fernwärmenetz zur Versorgung des westlichen Teils der Hauptstadt eingespeist werden kann. Bei einem Wirkungsgrad von 99,9 Prozent ist die Wärmeleistung fast identisch mit der elektrischen Leistung. Der aufzuwendende Strom ist aber normalerweise erheblich teuerer als die damit erzeugte Wärme, die eine vergleichsweise minderwertige Form von Energie darstellt. Deshalb dürfte der Einsatz dieser Kessel nur dann rentabel sein, wenn der Großhandelspreis für die Megawattstunde Strom an der Börse in den einstelligen Euro-Bereich oder sogar in den Negativbereich absinkt.

In Berlin und Hamburg lassen sich Strom-Überschüsse günstig verwerten

Auf Anfrage wollte Vattenfall sich nicht dazu äußern, ab welchem Strompreis die elektrisch erzeugte Fernwärme rentabel sein könnte. Es handele sich hier um "wettbewerbsrelevante Daten". Offenbar rechnet man aber mit einer hinreichenden Anzahl von Stunden, in denen der Strom an der Börse extrem niedrig ist oder sogar nur gegen Aufgeld verschenkt werden kann (130801). Solche Situationen entstehen in der Regel durch einen Überschuß an Windstromerzeugung im Norden Deutschlands bzw. durch eine unzureichende Abregelung der Stromproduktion aus konventionellen Kraftwerken (170404). Der weiträumige Verkauf dieser Überschußproduktion ist wegen Netzengpässen nur beschränkt möglich und führt zu erheblichen Problemen (161213, 151201). Ab Oktober nächsten Jahres wird deshalb sogar die bisher gemeinsame Stromhandelszone Deutschland-Österreich aufgelöst (170501).

Vattenfall betreibt in Berlin und Hamburg die beiden größten deutschen Fernwärmenetze. Das Unternehmen kann deshalb von dieser Situation profitieren, indem es den in Norddeutschland anfallenden Billig-Strom in Fernwärme verwandelt. Netzengpässe sind dabei nicht zu befürchten. Es findet vielmehr eine Netzentlastung statt.

Altes Steinkohle-Heizkraftwerk wird 2020 abgeschaltet

Neben der Nutzung niedriger Börsenstrompreise ergeben sich für Vattenfall Synergie-Effekte: Die in Berlin geplanten Elektrodenkessel ergänzen die beiden Blöcke D und E des HKW Reuter West, die über eine Leistung von insgesamt 564 MW elektrisch und 758 MW thermisch verfügen. Wenn sie fertiggestellt sind, wird der Steinkohle-Block C im alten HKW Ernst Reuter entbehrlich und kann nach der Heizperiode 2019/2020 vom Netz gehen. Zur Erhöhung der innerbetrieblichen Flexibilität baut Vattenfall derzeit am selben Standort einen Wärmespeicher mit einer Kapazität von 2.500 MWh. Ebenso wie die bereits vollzogene Umstellung des Heizkraftwerks Klingenberg von Braunkohle auf Gas (170515) werden diese Maßnahmen zur weiteren Verringerung der CO2-Emissionen beitragen.

Elektrolyse wäre regeltechnisch vorteilhafter, käme aber wesentlich teuerer

In kleinerem Maßstab wurde das Konzept "Power-to-heat" bereits von den Stadtwerken Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern (131113), Münster in Westfalen (160212) und Bielefeld (160319) verwirklicht. In Schwerin besteht die Anlage aus drei herkömmlichen Elektrokesseln mit einer Leistung von jeweils 5 MW. Dabei erhitzt der Strom einen Widerstandsleiter, der seine Wärme an das Wasser überträgt. In Münster und Bielefeld sowie bei dem Vattenfall-Projekt in Berlin handelt es sich dagegen um sogenannte Elektrodenkessel: Hier wird das Wasser direkt vom Strom durchflossen und dadurch aufgeheizt. Der Wirkungsgrad der Energieumwandlung ist dadurch besonders hoch. Während ein Elektrokessel auch für Gleichstrom geeignet wäre, muß ein Elektrokessel jedoch mit Wechselstrom betrieben werden, um die elektrolytische Zerlegung des Wassers zu verhindern. Gleichstrom würde das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen bzw. Knallgas entstehen lassen.

Dies führt zu der naheliegenden Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, den überschüssigen Billig-Strom für die Erzeugung von Wasserstoff mittels Elektrolyse zu nutzen. Der Wasserstoff könnte dann entweder dem Erdgas beigemischt oder mittels Brennstoffzelle bzw. Wasserstoff-Motor wieder in Strom umgewandelt werden (130813, 150813). Zugleich könnte diese Technologie sowohl negative als auch positive Regelenergie zum Ausgleich der fluktuierenden Wind- und Solarstromerzeugung bereitstellen. Die Umwandlungsverluste sind bei diesem Verfahren allerdings sehr hoch. Sie betragen zwei Drittel bis drei Viertel des eingesetzten Stroms. Das ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu viel, um mit dem simplen "Verbraten" des Stroms zu Fernwärme konkurrieren zu können. Sogar die Pumpspeicherkraftwerke, die eigens zur großtechnischen "Speicherung" von Strom mittels Umwandlung in Wasserkraft gebaut wurden, sind unter den gegenwärtig herrschenden Marktbedingungen nur sehr bedingt rentabel zu betreiben (siehe 170610).

 

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