Juli 2016

160714

ENERGIE-CHRONIK


EDF beschließt Bau des KKW Hinkley Point – aber London mauert plötzlich

Frankreich will den Bau der beiden EPR-Reaktoren am britischen KKW-Standort Hinkley Point, der seit knapp drei Jahren beabsichtigt ist (131009), so schnell wie möglich in Angriff nehmen. Der Staatskonzern EDF hat deshalb die Investitionsentscheidung, über die er bis Ende September beschließen wollte (160405), um zwei Monate vorgezogen und bereits am 28. Juli positiv entschieden. Die neue britische Premierministerin Theresa May – die nach dem erfolgreichen Volksentscheid gegen das Verbleiben Großbritanniens in der EU ihren konservativen Parteifreund David Cameron abgelöst hat – zeigt dagegen plötzlich überhaupt keine Eile, das von Großbritannien betriebene Projekt unter Dach und Fach zu bringen. Nur wenige Stunden nach der Investitionsentscheidung der EDF erklärte der britische Energieminister Greg Clark: "Die Regierung wird jetzt sorgfältig alle Bestandteile dieses Projekts betrachten und ihre Entscheidung frühestens im Herbst treffen."

Durch den "Brexit" wird die Subventionierung des Atomstroms zu einer noch größeren Belastung

Das Zögern der Regierung in London dürfte mit der neuen Situation nach dem "Brexit" zu tun haben. An sich würde der geplante Austritt Großbritanniens aus der EU derartige Kernkraftprojekte erleichtern, weil dann die notwendige Subventionierung des Atomstroms nicht mehr von der Genehmigung durch die EU-Kommission abhängig wäre. Aber darauf kommt es hier sowieso nicht mehr an, da Brüssel die Genehmigung für die beiden Blöcke in Hinkley Point schon erteilt hat (141020). Dagegen werden die Milliardensummen für die geplante Subventionierung des Atomstroms jetzt zu einer noch größeren Belastung für die britische Wirtschaft. Diese kränkelt schon seit vielen Jahren – abgesehen von dem in London konzentrierten Finanzsektor, der eher parasitäre Züge aufweist – und kann durch den "Brexit" nur noch mehr verlieren.

EDF-Verwaltungsrat Magnin trat aus Protest gegen die Investitionsentscheidung zurück


Gérard Magnin wollte nicht länger als grünes Aushängeschild im Verwaltungsrat der EDF dienen und trat zurück.
Foto: Energy Cities

Die EDF hatte am 21. Juli ihren Verwaltungsrat für den 28. Juli zu einer Sitzung einberufen, um die Entscheidung über das umstrittene Projekt zu beschleunigen, dessen Kosten vorläufig mit 21,5 Milliarden Euro veranschlagt werden. Vor der Sitzung legte einer der 18 Verwaltungsräte, Gérard Magnin, sein Amt nieder, um gegen die Politik der französischen Regierung und der EDF zu protestieren, die weiterhin vorrangig auf die Kernenergie setzt anstatt die Erneuerbaren Energien auszubauen. Von den verbliebenen 17 Mitgliedern stimmten zehn für die die Investitionsentscheidung. Die sechs Vertreter der Arbeitnehmerseite und ein weiteres Mitglied des Verwaltungsrats lehnten das Projekt dagegen ab, weil es finanziell zu große Risiken für die EDF berge, die bereits mit 37 Milliarden Euro verschuldet ist (160405).

Bereits im März war der EDF-Finanzchef Thomas Piquemal überraschend zurückgetreten, nachdem er intern vergebens vor den finanziellen Risiken gewarnt hatte, die sich durch die Reaktor-Neubauvorhaben in Großbritannien ergeben (160314). Piquemal hatte dafür plädiert, erst einmal die Erfahrungen mit dem EPR-Projekt in Flamanville (041006) abzuwarten, bevor sich der hochverschuldete Staatskonzern in ein neues Reaktor-Abenteuer stürzt.

Gérard Magnin begründete das Städtenetzwerk Energy Cities

Das jetzt zurückgetretene Verwaltungsratsmitglied Gérard Magnin verdankte diesen Posten der französischen Regierung, die als Hauptaktionär die meisten Sitze dieses Aufsichts- und Lenkungsgremiums besetzt. Magnin ist vor allem als Gründer des Städtenetzwerkes Energy Cities bekanntgeworden. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluß von mehr als 180 europäischen Gemeinden, die sich eine langfristige lokale Energiepolitik zum Ziel gesetzt haben. Die Mitglieder des Städtenetzwerkes entwickeln gemeinsam Handlungsstrategien für den Klimaschutz, tauschen Erfahrungen und Know-how im Energiebereich aus, erarbeiten Projekte zum Klimaschutz und nehmen gezielt Einfluß auf die Politik der Europäischen Union in den Bereichen Energie-, Umwelt- und Stadtpolitik. Am stärksten ist das Bündnis in Frankreich verankert, wo ihm 64 Gemeinden angehören. In Deutschland zählen München, Frankfurt am Main, Stuttgart, Freiburg, Heidelberg, Ulm, Ettlingen und Rathenow zu den Mitgliedern.

Regierung und EDF setzen weiterhin auf Kernenergie statt auf grünes Wachstum

Anscheinend war Magnin aber nur die Rolle eines Aushängeschilds und Feigenblatts zugedacht, um das im Juli vorigen Jahres beschlossene Energiewende-Gesetz für grünes Wachstum (loi relatif à la transition énergétique pour la croissance verte) (150704) auch im Verwaltungsrat der EDF in dekorativer Weise widerzuspiegeln. Als Magnin erkannte, daß die Regierungspolitik weiterhin auf Kernenergie statt grünes Wachstum setzt, zog er deshalb die Konsequenzen. Sein Brief an den EDF-Verwaltungsratspräsidenten Jean-Bernard Lévy, mit dem er seinen Rücktritt erklärte, wurde am 28. Juli von der Wirtschaftszeitung "Les Échos" veröffentlicht. Magnin beklagt darin, daß die EDF den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit weiter in Richtung Kernenergie verlagere, während sonst überall in der Welt die Diversifizierung der Energiequellen auf der Tagesordnung stehe. Davon zeuge nicht nur die Entscheidung für das sehr riskante Projekt Hinkley Point, sondern auch das Festhalten an der kostspieligen Wiederaufarbeitung radioaktiver Brennstoffe und die geplante Verlängerung der Betriebsdauer aller Reaktoren mit einer Leistung ab 900 MW auf fünfzig Jahre oder mehr. Frankreich setze damit faktisch auf die Kernenergie als vermeintlich sichere Energiequelle, werde aber in Wirklichkeit sehr verletzlich. Im Unterschied zu den meisten europäischen Energieversorgern nähere sich die EDF damit den Energiekonzepten Rußlands und Chinas an, bei denen es sich um Länder mit anderen sozialen Voraussetzungen handele. Eine solche Weichenstellung behindere in Frankreich die Herausbildung einer Erneuerbaren-Industrie mit allen dazugehörigen Branchen und Technologien. Die EDF verliere dadurch an Beweglichkeit. Falls sie jetzt durch die Investitionsentscheidung für die beiden EPR-Reaktoren in Hinkley Point in einen ähnlichen Abgrund geraten sollte wie zuvor der Nuklearkonzern Areva mit seinen mißglückten EPR-Projekten, habe sie auf allen Gebieten verloren.

EDF und Areva präzisieren ihr neues Verhältnis

Am selben Tag, an dem die EDF ihre Investitionsentscheidung für Hinkley Point traf, verständigte sie sich mit dem staatlichen Schwesterkonzern Areva auf Einzelheiten der künftigen Zusammenarbeit im Nuklearbereich. Die vor einem Jahr beschlossene Übernahme des Reaktorgeschäfts der Areva NP durch EDF (150703) erfolgt demnach über die Gründung einer neuen Gesellschaft ("New Areva NP"), an der die EDF mit mindestens 51 Prozent mehrheitlich beteiligt ist. Die Areva behält lediglich zwischen 15 und 25 Prozent. Für weitere mögliche Minderheitspartner ist eine Beteiligung bis 34 Prozent vorgesehen. Der Wert des neuen Reaktorbauers wird auf 2,5 Milliarden Euro taxiert.

Unabhängig davon soll im zweiten Halbjahr 2017 ein weiteres Unternehmen die Geschäftstätigkeit aufnehmen, das sich speziell mit der Konzeption und Konstruktion des nuklearen Teils (ilot nucléaire) von Kernkraftwerken befaßt. Die EDF verfügt bei dieser Gesellschaft über einen Anteil von 80 Prozent. Die restlichen 20 Prozent übernimmt die Areva NP bzw. deren Nachfolgerin.

In dem Protokoll wird außerdem bekräftigt, daß EDF und die neue Areva NP mit keinerlei Risiken belastet werden, die sich aus dem noch immer nicht vollendeten EPR-Projekt Olkiluoto in Finnland ergeben könnten (130207). Ausgeschlossen werden ferner alle finanziellen Belastungen aus Mängeln an Reaktordeckeln des Herstellers Creusot. Solche Mängel waren am Reaktordeckel des EPR-Neubaues Flamanville entdeckt worden. Baugleiche Deckel wurden aber auch für die in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke Saint Marcel und Jeumont sowie für das Projekt Hinkley Point hergestellt.

 

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