Juli 2013

130704

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Nicht gerade eine Erfolgskurve: Bei Löschers Amtsantritt im Juli 2007 kostete die Siemens-Aktie deutlich über hundert Euro. Als seine Ablösung beschlossen wurde, notierte sie bei achtzig Euro. Dennoch bleibt Siemens ein lukratives Unternehmen. Der Konzern steht sogar besser da als etwa sein US-Konkurrent General Electric.

Siemens-Chef Löscher muß vorzeitig gehen

Der Aufsichtsrat der Siemens AG beschloß am 31. Juli die vorzeitige Abberufung des Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher und ernannte den bisherigen Finanzvorstand Joe Kaeser zum Nachfolger. Zuvor hatte der Konzernvorstand am 25. Juli in einer Ad-hoc-Mitteilung wissen lassen, daß die im Unternehmensprogramm "Siemens 2014" vorgesehene Umsatzrendite von 12 Prozent voraussichtlich nicht erreichbar sein werde. Der seit zwei Jahren schwächelnde Kurs der Siemens-Aktie (siehe Grafik) gab daraufhin weiter nach. Schon am 27. Juli einigten sich die Aufsichtsratsmitglieder intern über die Abberufung Löschers, dessen Vertrag erst 2017 ausgelaufen wäre.

Die Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung soll im Siemens-Vorstand gegen Löschers Widerstand beschlossen worden sein. Anscheinend wollten seine Widersacher nicht nur den Publizitätspflichten des Aktienrechts genügen, sondern zugleich dem Aufsichtsrat eine Handhabe bieten, um Löscher vorzeitig abzulösen.

Der erste Siemens-Chef, der nicht aus dem eigenen Haus kam, hatte oft keine glückliche Hand


Kurz vor seinem Absturz als Konzernchef überflog Löscher den am 4. Juli offiziell eingeweihten Offshore-Windpark "London Array" vor der Ostküste Englands, für den Siemens 175 Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von jeweils 3,6 MW lieferte. Eigner des Windparks sind Dong Energy, E.ON und das Emirat Abu Dhabi.
Foto: Siemens

Löscher war vor sechs Jahren vom Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme inthronisiert worden, der ihn lange Zeit auch gegen alle Kritik stützte. Er war zuvor in der Pharmabranche tätig und der erste Siemens-Chef, der nicht aus dem eigenen Hause kam. Das von ihm betriebene Unternehmensprogramm "Siemens 2014" sieht die Einsparung von sechs Milliarden Euro und den weiteren Abbau von mehr als 10.000 Arbeitsplätzen im Inland vor. Es gilt aber trotz dieser tiefen Einschnitte als unausgereift und ineffizient, weil die Einsparziele zu wenig auf die Besonderheiten der einzelnen Geschäftsfelder (Energie, Industrie, Medizin, Infrastruktur) abgestimmt sind. Auch sonst hatte der Siemens-Chef oft keine glückliche Hand. Beispielsweise haben technische Probleme bei neuen ICE-Zügen und die dadurch verzögerte Auslieferung sowohl dem Geschäftsergebnis wie dem Renommee des führenden deutschen Elektrotechnik-Konzerns arg geschadet. Am erfolgreichsten war Löscher noch bei der Eindämmung von Schmiergeldpraktiken, mit denen sich der Konzern früher vor allem im Ausland Aufträge zu sichern pflegte, bis er Besuch von der Staatsanwaltschaft bekam. Im Geschäftsergebnis dürfte sich aber auch das eher negativ ausgewirkt haben.

Versuchte Neubelebung des Nukleargeschäfts wurde zum Fiasko

Die größten Pannen gab es im wichtigsten Geschäftsbereich, der Energietechnik. Der erste Fehlschlag war Löschers Versuch, Siemens wieder vom Nukleargeschäft profitieren zu lassen, nachdem das mit der französischen Atomwirtschaft gegründete Gemeinschaftsunternehmen (010215) nicht so reüssierte, wie man sich das vorgestellt hatte. Bei Löschers Amtsantritt überwog zunächst noch die Befürchtung, daß die Franzosen von sich aus das Gemeinschaftsunternehmen Areva NP kündigen könnten, um allein das Geschäft mit dem hauptsächlich von Siemens entwickelten "Europäischen Druckwasserreaktor" (EPR) zu machen (070703). Siemens erbat und bekam deshalb sogar politischen Flankenschutz seitens der Bundesregierung und der bayerischen Landesregierung (070912). Bald stellte sich aber heraus, daß es mit der erhofften Renaissance der Kernenergie gar nicht so weit her war. Der Bau des ersten EPR in Finnland verzögerte und verteuerte sich von Anfang an (130207), während Frankreichs Atomkonzern in Japan nach neuen Partnern suchte (061007). Für den Siemens-Konzern drohte damit die 34-prozentige Beteiligung an Areva NP eher zu einer langfristigen Belastung zu werden. Im Januar 2009 kündigte er überraschend das Gemeinschaftsunternehmen zum 31. Januar 2012 (090104). Nur wenige Tage später folgte eine erste Vereinbarung mit der Kreml-Führung zur Beteiligung an der russischen Atomwirtschaft (090202).

Dieser fliegende Wechsel von der französischen zur russischen Atomwirtschaft war schon deshalb abenteuerlich und riskant, weil Siemens mit dem Nukleargeschäft auch die technische Kompetenz auf diesem Gebiet abgegeben hatte (siehe Hintergrund). Er war zudem juristisch unüberlegt, weil sich Siemens gegenüber Areva vertraglich verpflichtet hatte, innerhalb der Dreijahresfrist bis zum Wirksamwerden des Ausstiegs kein neues KKW-Bündnis einzugehen. Die Franzosen machten deshalb zu Recht eine Vertragsverletzung geltend (100504). Von den 1,62 Milliarden Euro, die sie am Ende für die Übernahme der Siemens-Beteiligung bezahlten (110311), bekamen sie so 648 Millionen zurück (110510). Hinzu mußte sich Siemens verpflichten, bis September 2013 keine neuen KKW-Bündnisse einzugehen. Das war für den Konzern allerdings leichter zu verschmerzen, denn inzwischen hatte die Katastrophe von Fukushima solche Pläne durchkreuzt (110301). Im September 2011 kündigte Löscher an, daß Siemens sich nicht mehr direkt am Bau von Kernkraftwerken oder an der Finanzierung nuklearer Projekte beteiligen werde. Auch die Russen hätten angesichts der atompolitischen Wende der Bundesregierung volles Verständnis dafür, daß Siemens nur noch konventionelle Kraftwerksausrüstung liefern werde (110908).

An die Stelle von Rosatom trat Gazprom als "strategischer Partner"

Als Ersatz für die ursprünglich vorgesehenen Kooperation mit dem Staatskonzern Rosatom und Unterpfand für weitere gedeihliche Geschäfte mit Rußland mußte Siemens freilich eine Vereinbarung mit dem Staatskonzern Gazprom unterschreiben, die als "strategische Partnerschaft" deklariert war (111201). Sie umfaßte damit auch die Förderung der Gazprom-Aktivitäten in Deutschland und Westeuropa durch Siemens. Parallel dazu unterzeichneten Gazprom und die bayerische Landesregierung eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Stromerzeugung (111202). Wegen der schwindenden Rentabilität von Gaskraftwerken mußte Gazprom dann aber auf den geplanten Einstieg in den deutschen Strommarkt vorerst weitgehend verzichten und beschränkte sich auf den Bau eines kleinen Heizkraftwerks am Anlandepunkt der Ostsee-Pipeline bei Lubmin (121205).

Überstürzter Ausbau des Geschäftsbereichs Windenergie brachte Verluste in Milliardenhöhe

Mehr von geschäftlichem Ehrgeiz als umfassendem Sachverstand geleitet war die an sich richtige Entscheidung Löschers, neben den konventionellen Techniken der Stromerzeugung verstärkt auf Windkraftanlagen zu setzen. Bei seinem Amtsantritt verfügte Siemens erst seit zweieinhalb Jahren über diesen Geschäftsbereich, der durch die Übernahme des dänischen Herstellers Bonus Energy Ende 2004 und der Bremer AN Windenergie im folgenden Jahr entstanden war. Mit einem Markanteil von 6,8 Prozent an den seit 1982 installierten Anlagen rangierte Siemens in Deutschland an sechster Stelle. Bei den neu installierten Anlagen war der Marktanteil mit 3,5 Prozent aber deutlich geringer und der Abstand zu den Marktführern größer (081015). Um möglichst schnell das erklärte Ziel zu erreichen, weltweit drittgrößter Hersteller von Windkraftanlagen zu werden, besorgte sich Siemens zahlreiche Großaufträge für Anlagen und Windparks (081015, 100615) und baute diesen Geschäftsbereich systematisch aus (110912). Die Technik der Anlagen und die Realisierbarkeit der Projekte waren aber oft nicht hinreichend erprobt. So soll allein die Nachrüstung eines WKA-Typs, dessen Rotoren sich in den USA als bruchanfällig erwiesen hatten, rund 100 Millionen Euro gekostet haben. Um ein vielfaches größer waren die Verluste, die dem Konzern in der Nordsee entstanden, weil er bei den Offshore-Windparks, die er für den Netzbetreiber TenneT anschließen sollte, den Zeitplan nicht einhalten konnte (130208). Inzwischen steht fest, daß er bei allen vier Projekten im Verzug ist und deshalb fast 700 Millionen Euro abschreiben muß.

Neubelebung des Solarstromgeschäfts wurde nach drei Jahren aufgegeben

Aus dem Geschäftsbereich Solarstrom hatte sich der Konzern einst verabschiedet, als er den Weltmarktführer Siemens Solar der Shell Solar überließ (020112), die ihn an SolarWorld verkaufte (060415). Vom danach beginnenden Boom der Solarzellen-Hersteller konnte er deshalb nicht profitieren. Stattdessen setzte er 2009 mit dem Kauf des israelischen Unternehmens Solel Solar Systems auf die solarthermische Stromerzeugung, die im Rahmen des mittlerweile entzauberten Wüstenstrom-Projekts "Desertec" (130707) sowie als Ergänzung der konzerneigene Produktionspalette an Dampfkraftwerken eine vielversprechende Zukunft zu haben schien. Daneben betätigte er sich in bescheidenem Umfang wieder als Errichter von photovoltaischen Solaranlagen, wobei er die Solarmodule jedoch nicht selbst produzierte, sondern ankaufte. Dieses neue Engagement im Bereich Solarstrom dauerte aber nur drei Jahre. Im Oktober 2012 war es auch damit vorbei (121012). Der mißglückte Ausflug in die Solarstromerzeugung soll eine weitere Milliarde Euro gekostet haben.

Beim Bau der drei HGÜ-Trassen gibt es noch viel Geld zu verdienen

Unter Löschers Nachfolger Joe Kaeser (der eigentlich Josef Käser heißt und seinen Namen der amerikanisierten Konzernsprache anpaßte) dürfte Siemens sich im Energiebereich wieder stärker auf das traditionelle Geschäft mit mit der Netzausrüstung besinnen. Vor allem wegen der drei HGÜ-Trassen (121106), die auf Drängen der Netzbetreiber in das Bundesbedarfsplangesetz übernommen wurden (130408), sowie der massiven juristischen Unterstützung der gesetzlich beschlossenen Neubauvorhaben durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (130703), eröffnen sich hier enorme Profitmöglichkeiten. Allerdings muß Siemens bei diesen Projekten – wie schon beim Anschluß von Offshore-Windparks durch HGÜ-Leitungen - mit AAB und Alstom als Konkurrenten rechnen.

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