Juli 2013

130701

ENERGIE-CHRONIK


Vattenfall schreibt 3,4 Milliarden ab und denkt über Rückzug aus Deutschland nach

Der schwedische Vattenfall-Konzern will sein Geschäft ab 2014 in eine skandinavische und kontinentaleuropäische Einheit (inklusive Großbritannien) aufteilen. In einer Pressemitteilung vom 23. Juli begründete er diese Absicht mit der "gestiegenen Unsicherheit in Bezug auf die Entwicklung des Energiebinnenmarktes in Europa, insbesondere in Kontinentaleuropa". Die neue Struktur ermögliche künftig beiden Unternehmenseinheiten, sich auf ihre jeweiligen Hauptthemen zu konzentrieren und "Risiken der Geschäftstätigkeit von Vattenfall auf dem europäischen Festland langfristig zu teilen".

Zugleich gab der Konzern bekannt, daß er den Buchwert des Unternehmensvermögens um insgesamt 29,7 Milliarden Schwedische Kronen (SKE) abschreiben werde. Das sind rund 3,4 Milliarden Euro. Davon entfallen 1,65 Milliarden auf "Gas- und Steinkohlekraftwerke in den Niederlanden" und 467 Millionen auf "Steinkohlekraftwerke in Deutschland". Letzteres dürfte eine Umschreibung für das neue Kraftwerk Moorburg in Hamburg sein, das im Juli den Testbetrieb aufnahm und vor allem wegen umweltrechtlicher Auflagen nicht die erwartete Profitabilität haben wird (130109).

Offenbar leidet Vattenfall wie die anderen Energiekonzerne unter sinkenden Erlösen aus der traditionellen Großstromerzeugung mit Kernkraft und fossilen Energieträgern (siehe Hintergrund). In einer Telefonkonferenz mit Analysten, Investoren und Medienvertretern äußerte sich Vattenfall-Chef Øystein Løseth enttäuscht über das Ausbleiben eines einheitlichen europäischen Strommarktes, wie er mit der "Liberalisierung" angestrebt wurde. Stattdessen würden nationale Märkte immer mehr von der Politik beeinflußt. Løseth ließ wissen, daß Investoren willkommen seien, die sich an Unternehmensteilen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien beteiligen oder diese komplett übernehmen wollen. Bisher gebe es aber noch keine Verkaufsentscheidung. Einen Komplettverkauf des kontinentaleuropäischen Geschäfts könne der Staatskonzern ohnehin nur mit Zustimmung des schwedischen Parlaments vereinbaren.

Aus Polen und Belgien haben sich die Schweden bereits zurückgezogen

Ein gutes Jahrzehnt nach seinem Debüt als "drittgrößtes Energieunternehmen in Deutschland", das 2002 aus der Verschmelzung von Bewag, HEW, Veag und Laubag zur Vattenfall Europe AG entstand (020802), tritt der schwedische Konzern damit wieder den Rückzug an. Bereits vor einem Jahr hat er sich aus Polen und Belgien komplett verabschiedet (110804). Damals verband er dies noch mit der Ankündigung, sich künftig auf Schweden, Deutschland und die Niederlande als "Kernmärkte" konzentrieren zu wollen. Die neue Organisationsstruktur, die im September 2010 beschlossen wurde, sah sogar – im Gegensatz zu der nunmehr geplanten Verselbständigung des kontinentaleuropäischen Geschäfts – dessen engere Anbindung an den Mutterkonzern vor (100907).

Finanzieller Kraftakt zur Übernahme von Nuon lohnte nicht

Wie die drei anderen Energiekonzerne hat Vattenfall in Deutschland viele Jahre hohe Gewinne mit der Großstromerzeugung aus Kohle und Kernkraft erzielt (081202). Das angestammte Vertriebsmonopol in Berlin und Hamburg nutzte der Konzern ebenfalls zu kräftigen Preiserhöhungen (070501), bis ihm die Kunden in Scharen davonliefen (070909). Wie E.ON und RWE verkaufte auch Vattenfall sein Transportnetz (100307), weil der kurzfristige Erlös von 810 Millionen Euro besser in die Geschäftsstrategie zu passen schien als eine durchaus auskömmliche und sichere Netzrendite, die aber von der Regulierungsbehörde überwacht wurde und niedriger als im Kraftwerksgeschäft war (080803). Ferner trennte sich Vattenfall vom Regionalversorger Wemag (100109), von Nuon Deutschland (100111) und von Beteiligungen wie der Enso (110408). Die so erlösten Mittel dienten dazu, die Übernahme des niederländischen Energiekonzerns Nuon für 8,5 Milliarden Euro zu meistern. Der finanzielle Kraftakt rentierte sich aber nicht im erwarteten Maße, wie die jetzt in den Niederlanden vorgenommenen Abschreibungen in Höhe von 1,65 Milliarden Euro zeigen (090204).

Schon vor sechs Jahren versiegten Krümmel und Brunsbüttel als Profitquelle

Bereits im Sommer 2007 versiegte für Vattenfall in Deutschland die Kernenergie als Profitquelle. Die beiden Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel, die der Konzern gemeinsam mit E.ON besaß und bei denen er Betriebsführer war, standen seitdem wegen diverser Pannen fast ununterbrochen still (101202). Zumindest im Falle von Brunsbüttel dürften die Eigentümer darüber allerdings nicht unglücklich gewesen sein, da die für den Weiterbetrieb notwendige Restmengen-Übertragung mit der schwarz-roten Bundesregierung nicht zu erreichen war (090508). Es zeichnete sich ohnehin der Wechsel zu einer schwarz-gelben Koalition ab, die eine üppige Laufzeiten-Verlängerung für alle Kernkraftwerke im Gepäck hatte und bis Ende 2010 tatsächlich durchsetzte (101214). Die anfänglichen Erwartungen auf weiter sprudelnde Gewinne aus längst abgeschriebenen Kernkraftwerken zerschlugen sich dann aber mit der abrupten atompolitischen Wende der schwarz-gelben Bundesregierung im März 2011 (110303). Es kam nun sogar zur endgültigen Abschaltung von Krümmel und Brunsbüttel (110501). Vattenfall schied damit in Deutschland aus dem Kreis der Kernkraftwerksbetreiber aus.

Steinkohlekraftwerk Moorburg wurde doppelt so teuer wie ursprünglich geplant

Zunehmend Gegenwind verspürte Vattenfall auch bei der Großstromerzeugung mittels Braun- und Steinkohle, zumal sich der erhoffte Ausweg aus dem Klimaproblem durch Abscheidung und unterirdische Speicherung der CO2-Emissionen (080912) schließlich eher als Sackgasse erwies (120604). Der geplante Neubau des Steinkohlekraftwerks Hamburg-Moorburg, das zwecks Kostenersparnis direkt mit Frischwasser aus der Elbe gekühlt werden sollte, wurde zunächst auf 1,4 Milliarden Euro veranschlagt. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen um schärfere umweltrechtliche Auflagen mußte sich Vattenfall aber zum Bau eines Hybrid-Kühlturms und anderen Zugeständnissen bereitfinden (100812). Die Baukosten haben sich dadurch angeblich fast verdoppelt. Sicher ist, daß die "Energiewende" zunehmend allgemein die Erlöse für Kohlestrom drückt und schon deshalb die ursprüngliche Kalkulation nicht mehr aufgeht.

Braunkohle-Block in Lippendorf steht zum Verkauf

Bei der Braunkohleverstromung plant der Vattenfall-Konzern zumindest den Verkauf des Blocks R im Kraftwerk Lippendorf. Grund dafür ist, daß Lippendorf nicht aus den Tagebauen der konzerneigenen Vattenfall Europe Mining (früher Laubag) mit Brennstoff versorgt werden kann, sondern von der Mibrag abhängig ist, die eigenständige Unternehmensinteressen verfolgt und inzwischen tschechische Eigentümer hat (090713). Beim anderen, baugleichen Block in Lippendorf ist Vattenfall lediglich Betreiber. Eigentümer waren hier ursprünglich Badenwerk, EVS und Bayernwerk bzw. EnBW und E.ON als deren Nachfolger (950713). Seit 2009 gehört der Block S komplett der EnBW (090612).

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