Juni 2013

130602

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Im Zuge des 2002 gesetzlich beschlossenen Atomausstiegs (020404) wurden an allen deutschen KKW-Standorten Zwischenlager errichtet, um den hochradioaktiven Müll der Anlagen bis zum Vorhandensein eines Endlagers in sogenannten Castor-Behältern deponieren zu können (040101). Auch auf dem Gelände des KKW Brunsbüttel gibt es seit 2006 ein solches Zwischenlager (das Gebäude links vor der Windkraftanlage). Rechts sieht man das Kernkraftwerk, das 2007 abgeschaltet und inzwischen endgültig stillgelegt wurde (120302). Weiterhin betriebsbereit ist das Gasturbinenkraftwerk mit den zwei Schornsteinen, das Spitzenlasten bis zu 253 MW abdecken kann. Früher stützte es außerdem die Notstromversorgung des Kernkraftwerks.

Fotos (3): Vattenfall

Gericht annulliert Genehmigung für Zwischenlager Brunsbüttel

Die vor zehn Jahren erteilte Genehmigung für das Zwischenlager am Kernkraftwerk Brunsbüttel ist vom Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein am 20. Juni für ungültig erklärt worden, weil das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Folgen eines eventuellen terroristischen Angriffs nicht richtig ermittelt und bei der Genehmigung entsprechend berücksichtigt hat. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen. Die Behörde könnte somit allenfalls Revisionsbeschwerde einlegen. Zunächst will sie die schriftliche Urteilsbegründung abwarten.

Das Urteil gefährdet einen Eckpfeiler des zwischen den Parteien und Bundesländern ausgehandelten Kompromisses zum "Standortauswahlgesetz", da Brunsbüttel das wichtigste der drei Zwischenlager ist, die den hochradioaktiven Müll aus der Wiederaufarbeitung aufnehmen sollen, nachdem weitere Castor-Transporte ins zentrale Zwischenlager Gorleben durch eine Änderung des Atomgesetzes untersagt wurden (130601). In Brunsbüttel wollte man bis zu 14 der insgesamt 26 Castor-Behälter deponieren, die voraussichtlich noch bis 2025 aus Sellafield und La Hague kommen werden.

Zugleich stellt das Urteil die Genehmigungen für die meisten anderen Zwischenlager in Frage: Baugleich mit Brunsbüttel sind die Gebäude in Brokdorf, Grohnde, Krümmel, Lingen und Unterweser (einschiffige Gebäude mit einer Wandstärke von ca. 120 Zentimeter). Noch schwächer konstruiert sind die Lagerhallen an den Standorten Biblis, Grafenrheinfeld, Gundremmingen, Isar und Philippsburg sowie das in Obrigheim geplante neue Trockenlager (zweischiffige Gebäude mit einer Wandstärke von ca. 85 Zentimeter). Höhere Sicherheitsanforderungen erfüllt nur das Zwischenlager Neckarwestheim, das in Form von zwei unterirdischen Tunnelröhren angelegt wurde. Allerdings sind die Genehmigungen der meisten Zwischenlager inzwischen rechtskräftig geworden, was eine nachträgliche Anfechtung erschwert.

Kläger war erst mit der Revision beim Bundesverwaltungsgericht erfolgreich


Das Zwischenlager-Gebäude in Brunsbüttel verfügt über eine eine rund 120 Zentimeter dicke Betonhülle. Dennoch bleibt fraglich, ob es dem gezielten Absturz eines Airbus A380 oder dem Einsatz moderner panzerbrechender Waffen standhalten würde.

Die atomrechtliche Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel war vom Bundesamt für Strahlenschutz im November 2003 erteilt und für sofort vollziehbar erklärt worden. Dagegen hatte im Februar 2004 ein Anwohner geklagt. Sein Hauptargument war, daß die Risiken terroristischer Angriffe nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Vor allem habe das Bundesamt nicht untersucht, welche Folgen der vorsätzliche Absturz eines Airbus A380 und der Einsatz moderner panzerbrechender Waffen für die Anwohner hätten.

Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein hatte diese Klage mit Urteil vom 31. Januar 2007 zunächst abgewiesen. In der Revisionsverhandlung war diese Entscheidung aber vom Bundesverwaltungsgericht am 10. April 2008 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen worden.

Folgen eines Airbus-Absturzes und panzerbrechender Waffen nicht genügend untersucht

In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Senatsvorsitzende Habermann aus, das Bundesamt für Strahlenschutz habe es versäumt, die Folgen eines Absturzes eines Airbus A380 auf das Zwischenlager vor der Genehmigungserteilung zu ermitteln, obwohl die hierfür erforderlichen Daten vorlagen. Ein weiteres Ermittlungsdefizit liege darin, daß im Genehmigungsverfahren bei der Untersuchung der Folgen eines Angriffs mit panzerbrechenden Waffen auf Castor-Behälter offensichtlich nur ein älterer Waffentyp aus dem Jahr 1992 berücksichtigt worden sei, obwohl neuere Waffen eine größere Zerstörungswirkung auf das Inventar der Castor-Behälter haben könnten und schneller nachladbar sind, was für die Trefferanzahl von Bedeutung sein könne. Es sei auch nicht nachvollziehbar geworden, daß wegen sogenannter "ausreichender temporärer Maßnahmen" bis zu einer künftigen Nachrüstung des Zwischenlagers nunmehr das Risiko des Eindringens von Terroristen in das Lager ausgeschlossen sein solle. Die Genehmigungsbehörde sei ferner nicht der Frage nachgegangen, ob infolge der erörterten Angriffsszenarien eine Umsiedlung der betroffenen Bevölkerung erforderlich werden könnte, obwohl auch eine Umsiedlung als schwerwiegender Grundrechtseingriff zu berücksichtigen sei.

Ein wesentlicher Teil der Genehmigungsunterlagen unterliegt der Geheimhaltung


Das Zwischenlager Brunsbüttel wurde für die Aufnahme von bis zu 80 Castor-Behältern konzipiert. Da der Siedewasserreaktor schon kurz nach Inbetriebnahme des Lagers abgeschaltet wurde, gibt es hier noch viel Platz. Im politischen Kompromiß zum "Standortsuchgesetz" wurde Brunsbüttel deshalb zu einem von drei Zwischenlagern ausersehen, die
die noch ausstehende Rücktransporte radioaktiven Mülls aus der Wiederaufarbeitung aufnehmen sollen, um weitere Transporte ins Zwischenlager Gorleben vermeiden zu können.

In dem jetzt entschiedenen Verfahren war dem Gericht ein wesentlicher Teil der Unterlagen der Genehmigungsbehörde unter Berufung auf Geheimhaltung nicht vorgelegt worden. Daran nahm auch das Bundesverwaltungsgericht keinen Anstoß, das die Geheimhaltungsbedürftigkeit nach interner Prüfung der Details im sogenannten "in-camera-Verfahren" größtenteils bestätigte. Welche Informationen vor Gericht vorgetragen werden konnten, hatte das BfS mit dem Bundesumweltministerium abgestimmt.

In einer ersten Stellungnahme berief sich das BfS ebenfalls auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit vieler Fakten, um die Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht erklären zu können: Die Behörde habe "dem Gericht nicht in der gewünschten Detailtiefe darlegen können, daß die Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel den nach dem Atomgesetz erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet".

Bürgerinitiative gegen Zwischenlager Gundremmingen sieht sich bestätigt

Im Zwischenlager Gundremmingen ist die Decke der Castor-Halle weniger als halb so dick wie in Brunsbüttel, und auch die Seitenwände sind erheblich schwächer. Dennoch ließ der bayerische Verwaltungsgerichtshof ähnliche Einwände nicht gelten, wie sie jetzt in Brunsbüttel zur Aufhebung der Genehmigung führten. Im Unterschied zum ersten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig verweigerte er außerdem die Revision beim Bundesverwaltungsgericht. Darauf machte die Bürgerinitiative "Forum" aufmerksam, die seit 13 Jahren gegen die Zwischenlagerung von Atommüll in Gundremmingen kämpft.

"Die Argumente, die jetzt das OVG Schleswig überzeugt haben, wurden von uns auch im Prozess gegen die Genehmigung des Zwischenlagers Gundremmingen wie auch der Zwischenlager in Grafenrheinfeld und Ohu vorgetragen", erklärte die Bürgerinitiative in einer Stellungnahme. "Der Münchner Verwaltungsgerichtshof hat sie in den bayerischen Verfahren als unerheblich zurückgewiesen. Die letztlich vom Innenministerium handverlesenen Richter meinten, daß die Sicherheitsdiskussion zu viel Fachwissen erfordere und die Gefahr in sich berge, daß Geheimhaltungsbedürftiges bekannt würde. Letztlich müsse man den Behörden eine Einschätzungsprärogative zubilligen, die rechtlich nicht überprüft werden könne."

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