Juni 2012

120603

ENERGIE-CHRONIK


Beim Kauf der EnBW führte nicht die Landesregierung Regie, sondern Morgan Stanley

Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat nicht nur gegen die Landesverfassung verstoßen, als er Ende 2010 ohne Wissen und Zustimmung des Landtags für 4,67 Milliarden Euro das Aktienpaket der Electricité de France (EDF) an der Energie Baden-Württemberg (EnBW) erwarb. Er hat auch die wichtigsten Verhandlungsschritte und Details der Vereinbarungen mit der EDF der Investmentbank Morgan Stanley überlassen, die dafür knapp 13 Millionen Euro erhielt. Der Deutschland-Chef von Morgan Stanley, Dirk Notheis, schrieb dem Ministerpräsidenten bis ins Detail auf, wie er den Kauf durchführen und rechtfertigen sollte. Das stellte sich jetzt heraus, nachdem die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am 17. Juni erstmals Auszüge aus der E-Mail-Korrrespondenz zwischen Notheis und Mappus veröffentlichte, die dem seit Ende 2011 tagenden parlamentarischen Untersuchungsausschuß (111206) auf dessen beharrliches Drängen von Morgan Stanley zur Verfügung gestellt wurde. Ende Juni schickte Morgan Stanley seinen Deutschland-Chef in eine unbefristete "Auszeit". Die endgültige Trennung dürfte folgen.

"Bitte achte darauf, daß Du das durchziehst"

Mappus und Notheis waren politisch wie persönlich seit langem alte Freunde und halfen sich gegenseitig bei ihren Karrieren. Das läßt sich auch am kumpelhaften Ton erkennen, in dem die E-Mails abgefaßt sind. Zum Beispiel warnte Notheis am 4. Dezember 2010 den Ministerpräsidenten davor, den mit der EDF vereinbarten Kaufpreis noch von anderen Banken prüfen zu lassen: "Du wirst Anrufe von zahlreichen Banken bekommen. Sie werden Dich drängen, ihnen ein Mandat zu geben. Du musst das alles ablehnen (!!) und sagen, dass Du bereits vollständig beratungstechnisch aufgestellt bist. Bitte achte darauf, dass Du das durchziehst. Das verursacht sonst erheblich Sand im Getriebe, und das kann ich jetzt nicht gebrauchen."

Um den neoliberalen Flügel der CDU zu beschwichtigen, dem die Rückverstaatlichung privatisierter Unternehmen ein Dorn im Auge ist, gab Notheis die Empfehlung: "Du solltest idealerweise einen renommierten Volkswirt haben, der das Ganze gut findet. Es sollte jemand sein, der Dir einen Gefallen schuldet." Seine Regieanweisung für die Information des Aufsichtsrats der EnBW lautete: "Du solltest drei Landräte, ohne den Aufsichtsratsvorsitzenden, zu einem vertraulichen Gespräch zunächst ohne Angabe von Gründen ins Staatsministerium einladen." Die Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse ebenfalls vorab informiert werden, aber erst "kurz davor". Notheis machte sich sogar Gedanken darüber, was Mappus antworten sollte, falls er bei der Bekanntgabe der Rückverstaatlichung der EnBW von Journalisten gefragt werden sollte, was den CDU-Mann Mappus von SPD-Chef Sigmar Gabriel unterscheide. Mappus sollte so beginnen: "Ich bin erhebliche Kilo leichter. Scherz beiseite ..."

Nachdem der Verkauf perfekt war, stellte Notheis am 23. Februar 2011 für die Dienste von Morgan Stanley 12,8 Millionen Euro plus Mehrwertsteuer in Rechnung. Mappus fragte daraufhin: "Geht es auch, die Rechnung in ca. drei Wochen zu stellen und die Bezahlung unmittelbar nach der Wahl durchzuführen?" Notheis antwortete: "Für dich mach' ich doch alles!"

Im November 2010 empfahl Notheis dem Ministerpräsidenten ein "Meeting mit Sarko", um die Verhandlungen mit der EDF voranzutreiben. Gemeint war ein Treffen mit dem französische Staatspräsidenten Sarkozy. Dabei könne die Bundeskanzlerin behilflich sein: "Du fragst Mutti, ob sie Dir das arrangieren kann."

Notheis klärte den Bruder des EDF-Chefs auf: "Mappus kann Angela mit seinen Truppen töten"

Während Mappus behauptet, die EDF habe unbedingt auf der Umgehung des Landtags bestanden, verhielt es sich offenbar eher so, daß sich die Franzosen eine derartige Mißachtung der Landesverfassung und Brüskierung des Parlaments nicht vorstellen konnten und deshalb zuletzt noch mit der Unterschrift unter den Kaufvertrag zögerten. Um diesen Widerstand auszuräumen, rief Notheis am 3. Dezember 2010 René Proglio an, der ein Zwillingsbruder des EDF-Chefs Henri Proglio ist und die französische Niederlassung von Morgan Stanley leitet. "Du kannst dir sicher sein, dass Angela im Elysée anruft", drohte er. Die Kanzlerin werde das Geschäft dann ohnehin durchdrücken. Der baden-württembergische Ministerpräsident kontrolliere nämlich 30 Prozent der Parteitagsdelegierten der CDU und könne deshalb "Angela mit seinen Truppen töten" ("He can kill Angela with his troops").

In einem vorangegangenen Schreiben an René Proglio, das vom 28. November datiert, ließ Notheis anklingen, daß die Landesregierung mit 40 Euro plus 1,50 Euro Dividende pro Aktie einen überhöhten Preis für das EDF-Aktienpaket akzeptiert hat: "Bekanntlich hat dein Bruder dem Deal für 40 Euro schon zugestimmt. Und wir wissen beide, das ist mehr als üppig." Mit 39,90 Euro pro Aktie wurde das Aktienpaket in der Bilanz der EDF geführt. Mappus akzeptierte also noch einen Aufschlag auf diesen unrealistischen Kaufpreis, dessen Unterschreitung die EDF genötigt hätte, eine Sonderabschreibung durchzuführen.

EDF hält Schiedgerichtsklage für "völlig unbegründet und mißbräuchlich"

Die Schiedsgerichtsklage gegen die EDF, die von der rot-grünen Landesregierung im Februar eingereicht wurde (120213), dürfte unter diesen Umständen nicht unbegründet sein. Mit der Rückforderung von zwei Milliarden Euro und dem hilfsweise gestellten Antrag auf Rückabwicklung des Geschäfts stärkt die Landesregierung allerdings nicht gerade die Position der EnBW, die infolge des Atomausstiegs und der politisch erwünschten Neuorientierung ihres Geschäfts vor großen finanziellen Problemen steht. Die informationsmäßig sonst sehr verschlossene EDF sorgte dafür, daß die von der Landesregierung nicht mitgeteilten Einzelheiten der Schiedsgerichtsklage bekannt wurden. Am 5. Mai veröffentlichte sie außerdem eine Pressemitteilung, in der sie die Klage als "völlig unbegründet und mißbräuchlich" zurückwies. Sie will sogar Schadenersatz für alle Nachteile verlangen, die ihr aus der "mißbräuchlichen" Vorgehensweise der Stuttgarter Landesregierung entstehen könnten.

Der Stuttgarter Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) stellte unterdessen klar, daß die Landesregierung nicht ernsthaft an einer Rückabwicklung des Geschäfts oder an einem Abschmelzen ihres EnBW-Anteils interessert sei: "Wir wollen bei der EnBW beteiligt bleiben wie gehabt", sagte er in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (16.6.). "Der Konzern kann einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende im Land leisten. Das wollen wir als Eigentümer begleiten."

Landesrechnungshof kritisiert unter anderem die Heranziehung einer externen Anwaltskanzlei

Die Umstände des EnBW-Kaufs werden auch in einem Bericht des Landesrechnungshofs beanstandet, der am 26. Juni dem Landtag und der Landesregierung zuging. Die Prüfer lassen die Frage offen, ob der Kaufpreis überhöht war. Neben der Verletzung der Landesverfassung kritisieren sie aber etliche Verstöße gegen die Landeshaushaltsordnung. Die von der Investmentbank Morgan Stanley erstellte "Fairness Opinion" hätte nicht die einzige Grundlage für die Preisverhandlungen mit der EDF sein dürfen. Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und Kaufpreisfindung seien unzureichend gewesen. Wesentliche Risiken für das Unternehmen habe man völlig ausgeblendet. Ferner beanstandet der Rechnungshof, daß Mappus sich nicht vom Justizministerium, sondern von einer externen Anwaltskanzlei beraten ließ.

Tatsächlich scheint Mappus zunächst den Sachverstand der eigenen Ministerialbürokratie bemüht zu haben, um zu prüfen, ob die Landesregierung ohne Zustimmung des Landtags ein solches Geschäft tätigen darf. Aus Geheimhaltungsgründen war dabei von Daimler statt von der EnBW bzw. der EDF die Rede. Das Ergebnis fiel negativ und damit nicht zu seiner Zufriedenheit aus. Notheis riet ihm zur Heranziehung jener Stuttgarter Anwaltskanzlei, die schließlich grünes Licht für die Verletzung der Landesverfassung signalisierte: "Mein Vorschlag wäre Gleiss Lutz, Herr Dr. Schockenhoff. Vorteil: verschwiegen und gut."

Außerdem empfahl Notheis das Anheuern eines Medienberaters, der dafür sorgen sollte, daß Presse und Fernsehen den EnBW-Kauf als großartigen Coup des Ministerpräsidenten darstellen: "Würde hierzu Hering & Schuppener, Alexander Geiser nehmen. Er wird den richtigen Spin bei FAZ, Handelsblatt, FTD etc. erzeugen und dich aufs Titelblatt bringen."

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