Januar 2012

120113

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Die Leitwarte der Ludwigsburger Stadtwerke wird ab 2013 auch das gesamte Stromnetz der Stadt kontrollieren. Bisher ist sie bei elektrischer Energie nur für den Stadtteil Poppenweiler zuständig.

Foto: SWLB

Zwei Grundversorger verlieren ihre Netze

In der baden-württembergischen Kreisstadt Ludwigsburg verlieren Ende dieses Jahres die Energie Baden-Württemberg (EnBW) und die RWE-Tochter Süwag ihre lokalen Verteilnetze für Strom an die Stadtwerke. Sie behalten allerdings - zumindest bis auf weiteres - ihre Stromkunden und bleiben damit Grundversorger. Es tritt somit der bisher seltene Fall ein, daß der Grundversorger nicht zugleich der Netzbetreiber ist und daß ein Netzbetreiber als Stromanbieter nur über relativ wenige Kunden verfügt. Angesichts einer Vielzahl von auslaufenden Konzessionsverträgen und den verstärkten Bemühungen um eine Rekommunalisierung der Stromversorgung könnten sich in Zukunft solche Situationen häufen. Bemerkenswert ist das Ludwigsburger Beispiel auch deshalb, weil es zeigt, wie Stromkonzerne auf den drohenden bzw. erfolgten Verlust der Netzkonzession reagieren.

Nach § 36 EnWG erhält ein Energieversorgungsunternehmen, das in einem Netzgebiet die meisten Haushaltskunden mit Strom oder Gas beliefert, den Status des "Grundversorgers". In aller Regel sind die Grundversorger zugleich die Netzbetreiber, wobei für kleinere Verteiler mit bis zu 100.000 Kunden die geschäftsmäßige Trennung beider Bereiche genügt. Bei größeren müssen die Geschäftsbereiche auch juristisch getrennt sein, dürfen aber eigentumsmäßig unter einem Konzerndach vereinigt bleiben. Sogar vierzehn Jahre nach der Liberalisierung der Energiewirtschaft hat sich an dieser unternehmensmäßigen Identität von Netzbetreibern und Hauptstromlieferanten wenig geändert. Lediglich die vier Energiekonzerne haben weitgehend die Lust am Betrieb ihrer Transportnetze verloren, weil sie sich von der Stromerzeugung höhere Renditen versprechen. Mit Ausnahme der Energie Baden-Württemberg (EnBW) haben sie ihre Höchst- und Hochspannungsleitungen an Investoren verkauft, die vor allem Wert auf eine sichere Rendite legen (110705).

Im Bereich der Verteilnetze für Mittel- und Niederspannung gehören dagegen - unter Beachtung der jeweils geltenden Entflechtungsvorschriften - Netz und Vertrieb inklusive der Grundversorgung normalerweise noch immer denselben Unternehmen, die früher mit dem Netz auch das Versorgungsmonopol besaßen. Das kommt nicht von ungefähr: Auf dieser Ebene ist der Netzbetrieb eben auch ein Instrument der Kundennähe, - bindung und -gewinnung. Kein Stadtwerk, das auch Strom anbietet, wird deshalb ohne Not auf sein Verteilnetz verzichten. Umgekehrt tun sich kommunale Neugründungen wie in Hamburg (090511) oder Stuttgart (110610) schwer, solange sie lediglich Stromanbieter ohne eigenes Netz sind.

Aber auch die Übernahme der lokalen Verteilnetze nach dem Auslaufen der bisherigen Konzessionsverträge, wie sie inzwischen von etlichen Kommunen vollzogen wurde und von einer noch weit größeren Anzahl erwogen wird, bietet noch keine Garantie für erfolgreiche Kundenwerbung. Man darf deshalb gespannt sein, wie es in Ludwigsburg weitergeht, wo die Stadtwerke ab 2013 auch das komplette Stromnetz übernehmen, bisher aber nur über eine geringe Anzahl von Stromkunden verfügen.

"Externe Dienstleister" erledigen für Süwag die Schmutzarbeit

Fürs erste herrscht sozusagen Krieg an der Vertriebsfront. Die beiden Konzerne, die ihre örtlichen Konzessionen verlieren, sind dabei nicht gerade pingelig in der Wahl ihrer Mittel. So setzt die Süwag Drücker-Kolonnen ein, die durchs Revier der Stadtwerke ziehen. Die EnBW läßt auch schon mal fünfe gerade sein, wenn es um die Abwerbung von Kunden geht. Und den Basketballverein "EnBW Ludwigsburg" gibt es demnächst unter diesem Namen nicht mehr, weil sich aus Sicht des Sponsors die "regional-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen" in ungünstiger Weise verändert haben...

Am 4. Januar 2011 berichtete die "Stuttgarter Zeitung" über Drücker-Kolonnen, die im Auftrag der Süwag in Ludwigsburg unterwegs waren und die Bürger "in Angst und Schrecken versetzt" hätten, um sie zum Abschluß von Strom- und Gaslieferverträgen zu bewegen. So habe man einer 73-jährigen Frau erzählt, die Stadtwerke würden ihre Strom- und Gaslieferungen zum 12. Januar einstellen. Wer jetzt keinen Vertrag mit der Süwag abschließe, sitze dann im Dunkeln. Die Werber seien insgesamt viermal gekommen und jedes Mal aufdringlicher geworden. Eine Nachbarin habe sich zum Vertragsabschluss überreden lassen, weil sie befürchtet habe, mit ihrem kranken Kind plötzlich ohne Strom und Gas dazustehen.

Die Süwag bestätigte, daß sie "externe Dienstleister" mit der Kundenwerbung in Ludwigsburg beauftragt habe. Diese seien aber angehalten, sich korrekt zu verhalten. "Weder die Rückmeldung über unser Qualitätsmanagement noch der direkte Kontakt mit Kunden haben den Vorwurf bestätigt", erklärte ein Unternehmenssprecher. Den Namen des "Dienstleisters" wollte er nicht nennen. Dieser habe jedoch versichert, daß seine Mitarbeiter weder Kunden bedrängt noch versucht hätten, sich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen Energielieferverträge zu erschleichen. Die Mitarbeiter des Dienstleisters seien auch bereit, entsprechende eidesstattliche Versicherungen abzugeben.

Wenn man weiß, wie es in Drücker-Kolonnen zugeht, klingt diese Versicherung allerdings alles andere als überzeugend. Und was das "Qualitätsmanagement" der Süwag bei der Kundenwerbung betrifft, so liegt es damit schon seit langem im argen: Beispielsweise behaupteten Süwag-Werber 2009 in Hanau, die dortigen Stadtwerke würden mit der Süwag fusionieren, weshalb der Abschluß neuer Stromverträge mit der Süwag notwendig sei. Die Stadtwerke erwirkten daraufhin beim Frankfurter Landgericht eine einstweilige Verfügung, mit der die Verbreitung dieser und ähnlicher Lügen untersagt wurde. Zur selben Zeit waren Süwag-Werber auch in Wiesbaden unterwegs. Hier gaben sie sich als Mitarbeiter der Stadtwerke aus, die angeblich die Strom- oder Gasrechnung überprüfen müßten. Wenn die Stadtwerke-Kunden dann gutgläubig die angebliche Überprüfung mit ihrer Unterschrift bestätigten, hatten sie plötzlich einen Liefervertrag mit der Süwag abgeschlossen. Das Wiesbadener Landgericht drohte deshalb der Süwag für den Wiederholungsfall ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro an. Den Geschäftsführern wurde Ordnungshaft bis zu sechs Monaten in Aussicht gestellt.

"Das sind nicht unsere Methoden", erklärte schon damals eine Süwag-Sprecherin. Aber offenbar hat es Methode, die Schmutzarbeit der Kundenwerbung von "externen Dienstleistern" machen zu lassen, um sich dann von deren Methoden distanzieren zu können. Überhaupt geht der RWE-Konzern – zu dem die Süwag bisher gehörte – auf diesem Gebiet mit schlechtem Beispiel voran: In ähnlicher Weise läßt er mit dubiosen Methoden für seine bundesweite Strommarke "eprimo" werben. Die Schmutzarbeit besorgen in diesem Falle die Söldner von der "Energie Service Deutschland AG" (101008).

EnBW wirbt mit falschen Angaben und dreht Ludwigsburger Basketballern den Geldhahn zu

Vergleichsweise dilettantisch ging dagegen die EnBW vor, als sie im November den Ludwigsburger Stadtwerken deren Gaskunden abspenstig zu machen versuchte: Das massenhaft verschickte Angebotsschreiben enthielt mehrere falsche Angaben. So wurde dem Stadtwerke-Produkt "Favoritgas" eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende der Laufzeit angedichtet, obwohl die Kündigungsfrist lediglich sechs Wochen beträgt. Auf Verlangen der Stadtwerke mußte die EnBW am 16. Dezember eine Unterlassungserklärung abgeben, mit der sie sich eine gerichtliche Auseinandersetzung ersparte.

Härter traf die Ludwigsburger drei Tage später ein Tiefschlag aus Karlsruhe, der formal gar nichts mit den Stadtwerken zu tun hatte, aber sehr wohl dazu angetan war, diese bei lokalpatriotischen Sportsfreunden in Mißkredit zu bringen: Am 19. Dezember teilte die EnBW mit, daß sie den Sponsoring-Vertrag mit dem Bundesliga-Basketballverein "EnBW Ludwigsburg" im Juni dieses Jahres auslaufen läßt. Zur Begründung hieß es wörtlich: "Im Rahmen der fortlaufenden Überprüfung unserer Sponsorings auf ihre Werthaltigkeit, Vertriebs- und Kommunikationsziele fließen neben gesamtwirtschaftlichen Aspekten auch regional-gesellschaftliche Rahmenbedingungen in die Bewertung mit ein. Die Gesamtheit dieser Aspekte hat uns zu dieser Entscheidung veranlasst." Im Klartext sollte diese verschwiemelte Formulierung wohl heißen, daß die EnBW den Ludwigsburger Verein nicht mehr braucht und unterstützt, weil sich trotz aller PR-Arbeit die Gemeinderäte gegen eine bestimmende Rolle der EnBW bei der künftigen kommunalen Stromversorgung entschieden haben.

Kartellamt stoppte EnBW-Beteiligung an Stadtwerken

Die EnBW hatte den seit 2002 laufenden Sponsoring-Vertrag im April 2010 nochmals verlängert, aber nur um zwei Jahre. Zugleich wurde das Honorar, für das sich der Basketballverein zum Reklameträger für EnBW machte, auf jährlich 600.000 Euro verdoppelt. Der Konzern hoffte damals nämlich noch, mit den Stadtwerken in ein Boot steigen zu können, indem er ihnen als Gegenleistung Stromnetz und Vertriebskunden überläßt.

Dieses Ziel verfolgte die EnBW schon lange. Eine 35-prozentige Beteiligung an den Stadtwerken, die der Gemeinderat 2003 gebilligt hatte, war aber vom Bundeskartellamt gestoppt worden (041014). Die Behörde befürchtete die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung bei der Gasversorgung, weil die EnBW hier der Vorlieferant der Stadtwerke war. Trotzdem ließ die EnBW daraufhin verkünden, daß sie das Beteiligungsvorhaben beim Kartellamt anmelden und "auf dem Rechtsweg durchfechten" werde (050615). Das war noch unter dem EnBW-Chef Utz Claassen, zu dessen Amtszeit auch die Pressemitteilungen des Unternehmens manchmal etwas sonderbar klangen.

Später hörte man nichts mehr vom angekündigten Durchfechten der Beteiligung. Stattdessen neigten die Ludwigsburger Kommunalpolitiker zunehmend zur Erhaltung der Eigenständigkeit der Stadtwerke inklusive der Stromversorgung als neuem Geschäftsbereich: Seit 2006 boten die Stadtwerke auch "Favoritstrom" an. Im Jahr darauf übernahmen sie im Ortsteil Poppenweiler das Stromverteilnetz der EnBW. 2008 kam es zur Fusion mit den benachbarten Stadtwerken Kornwestheim. Die neuen Stadtwerke Ludwigsburg-Kornwestheim GmbH hatten ihren Sitz weiterhin in Ludwigsburg und beschäftigten einschließlich der fünfzig Kollegen aus Kornwestheim nun rund 200 Mitarbeiter.

Auf Strom beschränkte Kooperation scheiterte ebenfalls

Noch immer war allerdings nicht entschieden, ob die Stadtwerke nach dem Auslaufen der Konzessionsverträge im Jahr 2012 die Stromnetze von EnBW und Süwag in eigene Regie übernehmen oder sich mit den bisherigen Netzbetreibern arrangieren sollten. Der Kaufpreis von schätzungsweise 30 Millionen Euro war für ein Unternehmen mit einer Bilanzsumme von 120 Millionen Euro ein harter Brocken. Noch härter war womöglich die Aufgabe, von EnBW und Süwag deren bisherige Kunden zu gewinnen. Das zeigte auch die Erfahrung in Poppenweiler, wo die Stadtwerke zwar nun das Netz besaßen, die EnBW aber noch immer mit großem Abstand die meisten Kunden zählte und deshalb Grundversorger blieb. EnBW und Süwag verfügten somit über zwei Pfunde, mit denen sich wuchern ließ.

Klar war indessen, daß die Konzessionsverträge nicht einfach verlängert würden. Am 16. Dezember 2010 fiel eine weitere wichtige Vorentscheidung, indem der Ludwigsburger Gemeinderat definitiv beschloß, die beiden auslaufenden Konzessionen für das Stromnetz ab 2013 auf die Stadtwerke zu übertragen. Damit werde "der Weg für Kooperationsgespräche mit den Stromkonzernen freigemacht", hieß es in einer Mitteilung der Stadtwerke. Das unverbindliche Wort "Kooperation" war nicht zufällig gewählt. Es signalisierte, daß die Kommunalpolitiker nicht bereit waren, den möglichen Partnern die Mehrheitsbeteiligung an einem Gemeinschaftsunternehmen für die Stromversorgung zu überlassen. Die Süwag wäre wohl auch mit einer Viertelbeteiligung zufrieden gewesen, wie man hört. Dagegen scheint die EnBW weiterhin auf eine Mehrheitsbeteiligung gedrungen zu haben. Schließlich hatte sie erst vor ein paar Monaten die Summe von 1,2 Millionen Euro lockergemacht, um den Basketballverein "EnBW Ludwigsburg" weitere zwei Jahre als Sympathieträger einzusetzen. Für eine Minderheitsbeteiligung hätte sich diese Ausgabe nicht rentiert.

Mit ihrem Beharren auf einer langfristigen Mehrheitsbeteiligung an der Strom-Kooperation manövrierte sich die EnBW allerdings nur selber ins Abseits. Am 27. Juli 2011 lehnte der Gemeinderat auch eine Kooperation mit der Süwag ab. Stattdessen beschloß er mit großer Mehrheit, daß die Stadtwerke das Stromnetz selber übernehmen sollen. Die Netzfrage war damit entschieden.

Die Verfügung über das Netz garantiert noch keine Vertriebskunden

Was nun jedoch erst richtig begann, war der Kampf um die Vertriebskunden. Vor langer Zeit waren diese den Netzbetreibern sozusagen naturwüchsig zugefallen. Beim Abschluß der jetzt auslaufenden Konzessionsverträge im Jahre 1992 hießen die lokalen Vorläufer von EnBW und Süwag noch Technische Werke der Stadt Stuttgart (TWS) und Kraftwerk Altwürttemberg (Kawag). Das waren damals integrierte Stromversorger mit geschützten Versorgungsgebieten. Jeder Netzkunde war zugleich Vertriebskunde und umgekehrt. Erst die Liberalisierung des Energiemarktes bewirkte ab 1998 sukzessive eine Trennung von Netzbetrieb und Stromvertrieb. Allerdings erlaubt § 7 EnWG für kommunale Verteiler mit weniger als 100.000 Kunden eine weniger strenge Entflechtung als für Großunternehmen, die Netz und Vertrieb weiterhin unter einem Konzerndach vereinen. Beim Gas zählen die Stadtwerke Ludwigsburg-Kornwestheim immerhin schon 35.000 Kunden, denn außer den beiden Stammgebieten mit rund 120.000 Einwohnern beliefern sie auch die Nachbargemeinden Asperg, Marbach, Markgröningen, Möglingen und Tamm. Beim Strom werden sie sich aber noch mächtig anstrengen müssen, um der EnBW und der Süwag den Rang des "Grundversorgers" in deren früheren Netzgebieten streitig zu machen. Vorläufig verfügen die Stadtwerke in diesem Geschäftsbereich nur über knapp 9000 Kunden.

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