Januar 2012

120102

ENERGIE-CHRONIK


Polen und Tschechien wollen unerwünschte Stromflüsse aus Deutschland abblocken

Polen und Tschechien wollen ihre Kuppelstellen mit dem deutschen Stromnetz nicht mehr unbeschränkt zur Verfügung stellen. Sie planen den Einbau sogenannter Phasenschieber-Transformatoren, mit denen sich unerwünschte Stromflüsse aus Deutschland abblocken lassen. Sie wollen so verhindern, daß in Norddeutschland erzeugte Windstrom-Spitzen über ihre Netze nach Süddeutschland fließen, weil diese Transitflüsse die Stabilität ihrer eigenen Übertragungsnetze gefährden.

Phasenschieber-Transformatoren werden bereits an verschiedenen Stellen des europäischen Verbundnetzes eingesetzt, um die Lastflüsse zu optimieren. Nun erwägen auch Polen und Tschechien die Anschaffung dieser nicht gerade billigen Anlagen, um eine Überlastung ihrer Netze durch Windstrom-Transitflüsse aus Norddeutschland zu verhindern.
Foto: Siemens

Entsprechende Planungen von polnischer Seite wurden erstmals am 4. Dezember bekannt. "Wenn überschüssiger Wind- und Solarstrom nicht mehr ins Ausland abgeführt werden kann, dann wird das deutsche Stromnetz instabiler", äußerte der Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena), Stephan Kohler, gegenüber "Spiegel Online". Man müsse deshalb den Ausbau von Stromtrassen von Ost- nach Süddeutschland vorantreiben. Zudem müsse die Bundesregierung mit Polen und anderen Nachbarländern verhandeln, "um die Energiewende europäisch abzustimmen".

"Steuerung des Lastflusses dient der Betriebssicherheit"

Der polnische Netzbetreiber PSE Operator bestätigte am 9. Dezember, daß es diese Pläne gibt. Sie würden sich jedoch nicht gegen die regenerative Stromerzeugung in Deutschland richten, sondern im Gegenteil deren sichere Ableitung zu den Verbrauchsschwerpunkten im Süden ermöglichen. Momentan sei es so, daß der in Norddeutschland erzeugte Windstrom aus physikalischen Gründen über die Netze Polens und benachbarter Staaten fließe. "In dieser Situation wird es immer schwieriger, die Einhaltung der grundlegenden Sicherheitskriterien für den Betrieb des Übertragungsnetzes zu gewährleisten." Phasenschiebertransformatoren seien im europäischen Verbundsystem bereits an einigen Grenzen installiert, um den Lastfluß optimal zu steuern und eine Überlastung von Leitungen zu verhindern. Ihre Einführung an der deutsch-polnischen Grenze werde ebenfalls die Betriebssicherheit erhöhen. Andernfalls drohe ein kaskadenartigen Ausfall von Leitungen, von dem sowohl Polen als auch Deutschland betroffen wären. Vermeiden lasse sich die geplante Maßnahme nur durch eine Begrenzung der Windstromerzeugung in Norddeutschland. Im übrigen sei man ebenfalls der Meinung, daß die Stromtrassen zwischen Ost- und Süddeutschland dringend ausgebaut werden müßten.

Das Hauptproblem Windstrom wird noch durch andere Faktoren verschärft

Am 10. Januar beklagte sich auch der tschechische Netzbetreiber CEPS über eine Häufung von ungeplanten Lastflüssen in Nord-Süd-Richtung. Früher seien solche Situationen relativ selten gewesen. Im letzten Jahr hätten sie jedoch stark zugenommen. Am kritischsten sei die Lage zwischen dem 25. November und dem 16. Dezember gewesen, als der gewöhnlich bei 1000 MW liegende Lastfluß bis zu 3500 MW erreicht habe. Als Hauptursache nannte CEPS die außergewöhnlich große Menge an Windstrom. Noch verschärft worden sei die Situation aber durch die Abschaltung von acht Kernkraftwerken und den Zubau von Photovoltaik-Kapazitäten in Deutschland, einen intensiven Stromhandel vor allem an den Spotmärkten sowie einen gestiegenen Stromimportbedarf der Balkanländer wegen des dort herrschenden Wassermangels, der die Erzeugung von Wasserkraftwerken minderte.

Man habe eine Reihe geeigneter Maßnahmen ergriffen, um der kritischen Situation besser begegnen zu können, hieß es in der Pressemitteilung zum Schluß. Wie CEPS-Chef Vladimir Tosovsky am selben Tag gegenüber tschechischen Medien erkennen ließ, gehört dazu als ultima ratio auch die Lastflußsteuerung an der Grenze mittels Phasenschiebertransformatoren, wie Polen sie plant. Die Kosten einer solchen Maßnahme zur Absicherung des tchechischen Übertragungsnetzes werden auf rund 80 Millionen Euro geschätzt.

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