Oktober 2011

111011

ENERGIE-CHRONIK


Bundesnetzagentur hält nichts von Preiszonen

"Die Diskussion über die Schaffung mehrerer Großhandelspreiszonen für Strom in Deutschland gefährdet den geplanten Netzausbau und schadet dem Wettbewerb in Deutschland und Europa." Mit diesem barschen Urteil wies die Bundesnetzagentur am 25. Oktober den Vorschlag zur Einführung von mindestens zwei Preiszonen in Deutschland zurück, wie ihn die Monopolkommission vor einigen Wochen in ihrem dritten Sondergutachten gemacht hatte (110907). "Die Stärkung des Binnenmarktes erreicht man durch Integration und nicht durch Aufspaltung", erklärte Behördenchef Matthias Kurth. "Daher sollte mittelfristig über die Bildung größerer grenzüberschreitender Marktgebiete nachgedacht werden, anstatt der Kleinstaaterei zu verfallen."

Gutachten sollte Vorstoß der ERGEG abwehren

Die Behörde vermied es allerdings, den Vorschlag der Monopolkommission auch nur zu erwähnen. Sie berief sich vielmehr auf ein Gutachten, das sie schon vor längerer Zeit in Auftrag gegeben hatte, um einen entsprechenden Vorstoß aus Brüssel abzuwehren. Im Rahmen eines Konsultationsverfahrens der ERGEG für die neue Rahmenrichtlinie zum Kapazitätsbereitstellungs- und Engpaßmanagement war damals auch die Aufteilung des deutsch-österreichischen Großhandelsmarkts in mehrere Preiszonen diskutiert worden. Die Rahmenrichtlinie wurde am 29. Juli von der inzwischen neu geschaffenen europäischen Regulierungsbehörde ACER veröffentlicht, die im März 2011 die Nachfolge des Regulatoren-Forums ERGEG antrat (091212), und soll bis Herbst kommenden Jahres von der ENTSO-E (090207) in ein konkretes netztechnisches Regelwerk umgesetzt werden. Der Vorschlag für Preiszonen taucht darin nicht auf. Dafür wurde er im Gutachten der Monopolkommission aufgegriffen.

Das von der Bundesnetzagentur jetzt vorgelegte Gutachten sieht bereits die Voraussetzungen für eine Aufteilung des Marktgebietes Deutschland-Österreich durch "Market Splitting" nicht gegeben, da das Übertragungsnetz nicht von einem strukturellen und nachhaltigen Engpaß gekennzeichnet sei. Auch die teilweise vermutete "Verschiebung" etwaiger innerdeutscher Engpässe an die Außengrenzen habe sich nicht bestätigt. Darüber hinaus würden weder die für den freien Handel zur Verfügung stehenden grenzüberschreitenden Übertragungskapazitäten erhöht noch Ringflüsse durch Nachbarländer verringert. Die Einführung einer Marktteilung könne sogar die Marktmacht großer Stromerzeuger erhöhen. Eine Teilung des deutschen Marktes habe hinzu tendenziell einen negativen Effekt auf den Netzausbau zur Integration der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) applaudierte dem Gutachten: Die Preiszone Deutschland-Österreich habe sich zum "liquidesten Strommarkt Europas" entwickelt und bilde das "Rückgrat für den Wettbewerb im europäischen Stromhandel", erklärte BDEW-Chefin Hildegard Müller. "Es ist sehr erfreulich, daß diese erfolgreiche Preiszone nach kritischer Prüfung durch die Bundesnetzagentur als Handelsgebiet weiter unterstützt wird."

 

Kommentar

Daß Preiszonen grundsätzlich eine verbrauchsnahe Stromerzeugung begünstigen und dadurch den Bau von Leitungen verhindern könnten, wird auch durch das vorliegende Gutachten nicht in Frage gestellt. Auf Seite 111 heißt es sogar explizit: "Market Splitting würde zu Anreizen für Erzeuger / Investoren führen, an einem bestimmten Standort, in der Regel in der hochpreisigen Gebotszone, zu investieren." Bestritten wird allerdings, daß im deutsch-österreichischen Raum jene Vorausssetzungen vorliegen, von denen in Kreisen der ERGEG ausgegangen wurde, und daß die Vorteile größer wären als die Nachteile. Dieser Befund überrascht nicht. Es war auch von Anfang an klar, daß der Vorschlag der Monopolkommission keine Zustimmung finden würde. Gerade deshalb war es bemerkenswert, wie dieses stramm neoliberal orientierte Beratergremium der Bundesregierung die durch die Liberalisierung des Strommarktes entstandenen Probleme wiederum durch ein wirtschaftliches Korrektiv mildern wollte, anstatt nur den Bau neuer "Stromautobahnen" zu empfehlen. Das wirkte ein bißchen wie der Versuch des Zauberlehrlings, den Besen mit denselben Beschwörungsformeln wieder zu bändigen, mit denen er ihn entfesselt hat. Der Ratschlag hätte das Schlamassel vielleicht nur noch größer gemacht. Aber so falsch er sein mochte: Er rührte an das Grundproblem, daß mit der integrierten Stromversorgung auch die Gesamtveranwortung für Kraftwerke und Netz abgeschafft wurde (siehe Hintergrund).

 

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