Juli 2010

100708

ENERGIE-CHRONIK


Brüderle verteidigt Negativpreise für Windstrom

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sieht in negativen Strompreisen "grundsätzlich ein wichtiges Element, um die Effizienz des Strommarktes zu unterstützen". Dadurch würden finanzielle Anreize "für den notwendigen Strukturwandel, zum Beispiel für Investitionen in flexiblere Kraftwerke" geschaffen. Allerdings seien "Abhilfemaßnahmen" notwendig, damit es nicht wiederholt zu solchen Situationen kommt wie am 4. Oktober 2009, als die Netzbetreiber den eingespeisten Windstrom an der Börse verschenken und außerdem noch bis zu 500 Euro pro Megawattstunde hinterherwerfen mußten, um ihn loszuwerden (091201).

In seiner Pressemitteilung vom 1. Juli berief sich Brüderle auf ein entsprechendes Gutachten des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI), das im Auftrag des Ministeriums eine "Analyse der Ursachen für negative Strompreise am 3./4. Oktober 2009 und möglicher Abhilfemaßnahmen" angefertigt hat. Die 53 Seiten umfassende Studie datiert vom 3. Februar. Sie lag dem Ministerium somit seit fünf Monaten vor. In Auftrag gegeben wurde sie anscheinend schon Ende 2009. Sie untersucht jedenfalls nur die Negativpreise, die im Oktober und November an der Strombörse EEX auftraten (091201). Außer Betracht bleibt die Entwicklung im Dezember, als am ersten Weihnachtsfeiertag der Windstrom zehn Stunden lang für ein Aufgeld von insgesamt 22 Millionen Euro verschenkt werden mußte (100101).

Je tiefer der Preis, desto höher die EEG-Umlage

Mit der verspäteten Veröffentlichung der Studie reagiert das Ministerium anscheinend auf den sprunghaften Anstieg der EEG-Umlage, die in diesem Jahr von 1,20 Cent/kWh auf 2,05 Cent/kWh emporschnellte (100407). Das Bundesumweltministerium sagte für das kommende Jahr einen weiteren Anstieg auf etwa 2,8 Cent/kWh voraus. Beide Zahlen sind wahrscheinlich noch zu tief gegriffen. Der Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) prophezeite am 29. Juli, daß die EEG-Umlage im kommenden Jahr auf mindestens 3,5 Cent/kWh steigen werde. Die EEG-Belastung würde sich damit gegenüber 2009 ungefähr verdreifachen.

Entgegen den Behauptungen von Energieversorgern (100507) wird diese Steigerung nicht wesentlich durch einen Anstieg der Einspeisungsvergütungen verursacht. Sie ist hauptsächlich eine Folge der seit Jahresanfang geltenden Umstellung des EEG-Ausgleichsverfahrens, das den Verkauf des EEG-Stroms durch die Netzbetreiber an der Börse vorschreibt. Je nach Windstromeinspeisung und Stromnachfrage kommt es dadurch zu einem starken Preisverfall und sogar zu Negativpreisen, d.h. zur Zahlung einer Dreingabe für die Abnahme verschenkten Stroms. Das so entstandene Defizit aus dem Verkauf von EEG-Strom gilt wie die Einspeisungsvergütungen als Bestandteil der EEG-Kosten und geht in den Strompreis ein. Die Verbraucher subventionieren auf diese Weise sowohl die Erzeugung als auch die Abnahme des Stroms.

Verschleuderung von EEG-Strom soll finanziellen "Anreiz" zum Ausbau von Speicherkapazitäten erzeugen

Das Gutachten verteidigt diese Neuregelung als "deutliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Wälzungsmechanismus". Fast wortgleich mit Brüderles Presseverlautbarung heißt es im Fazit, die Einführung negativer Preise an der Strombörse sei "aus ökonomischer Sicht ein wichtiges Element, um Effizienz im Strommarkt zu unterstützen". Längerfristig seien negative Preise wichtig, "um den benötigten Strukturwandel anzureizen, der notwendig ist, um den Anteil erneuerbarer Energien im Stromsystem weiter zu erhöhen".

Im Klartext heißt das, daß überschüssiger EEG-Strom über die Börse so lange verramscht, verschenkt oder gar gegen Aufpreis losgeschlagen werden soll, bis ein hinreichender "Anreiz" für die Abnahme entsteht, der dann - vielleicht - auch den Ausbau der bisher völlig unzureichenden Speicherkapazitäten vorantreiben hilft. Die hohen Kosten für die Schaffung des "Anreizes" gehen in die EEG-Kosten ein und belasten die Stromverbraucher. Die Verfasser der EWI-Studie huldigen damit einer ähnlichen Sichtweise wie die Bundesnetzagentur, als diese im Februar ihre Durchführungsverordnung zur Neuregelung des EEG-Ausgleichsverfahrens präsentierte (100201).

Auch ein sinkender Börsen-Strompreis kann neuerdings die Verbraucher belasten

Wirklich neue Erkenntnisse enthält die Studie nicht. Am gehaltvollsten ist noch die Feststellung, daß sinkende Preise an der Strombörse nicht mehr unbedingt zu einer Entlastung für die Endverbraucher führen, sondern sogar preistreibend wirken können. Dieser Effekt kommt deshalb zustande, weil ein durch Verschleuderung von EEG-Strom bewirkter Preisrückgang an der Börse in die EEG-Umlage eingeht und so die Stromrechnung belastet. Man muß allerdings schon genau hinsehen, um in der EWI-Studie diese nicht ganz unwichtige Erkenntnis zu finden. Die Autoren verstecken sie in einer Fußnote, in der es beiläufig heißt: "Ferner ist zu berücksichtigen, daß die EE-Einspeisung zwar kurzfristig den Großhandels-Strompreis reduziert, zugleich jedoch durch die EEG-Umlage den Endverbraucher-Strompreis treibend wirkt."

Links (intern)