Juli 2007

070701

ENERGIE-CHRONIK


Vattenfall-Chefs wegen ungeschickter Informationspolitik entlassen

Vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzung um eine Revision des Atomausstiegs haben sich zwei Betriebsstörungen in den Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel zu einer Affäre ausgewachsen, die am 18. Juli zum Rücktritt des Vattenfall-Chefs Klaus Rauscher führte. Zwei Tage zuvor mußten bereits der Chef des Vattenfall-Kernenergiebereichs, Bruno Thomauske, und der Leiter der Konzernkommunikation, Johannes Altmeppen, ihre Posten abgeben. Den Managern wurden weniger die tatsächlichen Mängel im Betriebsablauf der beiden Kernkraftwerke zum Verhängnis als ihre ungeschickte Informationspolitik, mit der sie auch die anderen Kernkraftwerksbetreiber und die kernkraftfreundliche Bundeskanzlerin gegen sich aufbrachten.

Begonnen hatte alles mit zwei Kurzschlüssen, die sich am 28. Juni kurz nacheinander in einer Schaltanlage beim Kernkraftwerk Brunsbüttel und durch einen Trafobrand am Kernkraftwerk Krümmel ereigneten (070608). Beide Kernkraftwerke wurden deshalb automatisch abgeschaltet. Entgegen der Darstellung des Betreibers Vattenfall verlief die Abschaltung des Reaktors Krümmel aber nicht ohne Komplikationen: So kam es beim Herunterfahren des Reaktors innerhalb der Bedienungsmannschaft zu einem Mißverständnis hinsichtlich des Schließens und Öffnens von Ventilen. Rauchschwaden von dem Trafobrand drangen bis in die Leitwarte ein und veranlaßten den Reaktorfahrer zum Aufsetzen einer Gasmaske.

Vorfall paßte nicht zur laufenden Kampagne für Brunsbüttel und zum bevorstehenden Energiegipfel

Soweit die Vorkommnisse den nuklearen Teil der Anlagen betrafen und meldepflichtig waren, bewegten sie sich im untersten Bereich der INES-Skala. Von Vattenfall wurden sie sogar der Stufe 0 zugeordnet ("keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung"). Dennoch kamen sie für den Konzern äußerst unpassend, da er eine massive Kampagne zur Verlängerung der Laufzeit für das KKW Brunsbüttel gestartet hat. Erst am Vortag hatte Vattenfall in einer Presseerklärung dem Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) "Verzögerungstaktik" vorgeworfen, weil er die beantragte Übertragung eines Laufzeit-Kontingents vom jüngeren Kernkraftwerk Krümmel auf die ältere Anlage in Brunsbüttel nicht genehmigen will (070608). Erneut hatte Kernenergie-Chef Thomauske dabei behauptet, sogar einen Rechtsanspruch auf einer derartige Übertragung zu haben. Ein weiteres Motiv zur Schönung der Darstellung war wohl auch der bevorstehende "Energiegipfel", zu dem sich am 3. Juli die Chefs der Energiekonzerne mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trafen (070705).

SPD-Minister Trauernicht und Gabriel nehmen Vattenfall in die Zange

Allerdings blieben die Unstimmigkeiten bei der Abschaltung des KKW Krümmel nicht lange verborgen. Die für Reaktorsicherheit zuständige Sozialministerin von Schleswig-Holstein, Gitta Trauernicht (SPD), ließ bereits am 3. Juli mitteilen, daß ihre Sachverständigen "mehrere bei der Abschaltung des Reaktors aufgetretene Auffälligkeiten" prüfen würden. Am 7. Juli betonte sie nach einem Gespräch mit dem Vattenfall-Vertreter Thomauske nochmals, "daß das Kernkraftwerk Krümmel nicht wieder ans Netz gehen wird, bevor nicht alle sicherheitsrelevanten Fragen geklärt sind." Zwei Tage später kündigte sie sogar eine rechtliche Überprüfung an, ob Vattenfall die nach dem Atomgesetz erforderliche Zuverlässigkeit als Kernkraftwerksbetreiber noch besitze. Solche Zweifel ergäben sich beispielsweise aus einer Presseerklärung des Konzerns vom 1. Juli, in der behauptet wurde: "Die Störungen in Krümmel und Brunsbüttel waren konventioneller Art und standen nicht mit dem Nuklearbereich der Anlagen in Verbindung."

Am 10. Juli meldete sich auch das Bundesumweltministerium von Sigmar Gabriel (SPD) als Bundesaufsichtsbehörde zu Wort und sah "deutliche Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Bedienungspersonals in dem Reaktor". In Krümmel sei es zu einer Schnellabschaltung statt zu einer kontrollierten Abschaltung des Reaktors gekommen. Die Gründe dafür hätten sich bisher nicht klären lassen, weil Vattenfall sich geweigert habe, zu einem bundesaufsichtlichen Gespräch am 9. Juli auch den zuständigen Schichtleiter und Reaktorfahrer mitzubringen.

Sowohl in Brunsbüttel als auch in Krümmel werden weitere Mängel festgestellt

Der politische Druck durch Landes- und Bundesaufsicht verstärkte sich, als im Laufe des Monats Juli in beiden Kernkraftwerken weitere Mängel festgestellt wurden. Es kam sogar zu Spekulationen, wonach Vattenfall die Betriebsführung der beiden Kernkraftwerke künftig dem E.ON-Konzern übertragen werde, der an Krümmel zur Hälfte und an Brunsbüttel zu einem Drittel beteiligt ist. Vattenfall dementierte am 14. Juli eine entsprechende Meldung des Magazins "Spiegel".

Im stillstehenden Kernkraftwerk Krümmel entdeckte man fehlerhafte Dübelbefestigungen und eine Leckage im Turbinenbereich. Im KKW Brunsbüttel, das am 1. Juli erneut ans Netz gegangen war, mußte eine mögliche Wasserstoff-Ansammlung beseitigt werden, die eine Wiederholung der Explosion vom Dezember 2001 befürchten ließ (020215). Ferner mußte der Transformator für den Eigenbedarf des Kraftwerks außerplanmäßig mit neuem Öl versehen werden. Als dann auch noch fehlerhafte Verankerungen der Rohrleitungen des Not- und Nachkühlsystems entdeckt wurden, blieb auch Brunsbüttel bis auf weiteres abgeschaltet.

Die schwedische Konzernzentrale befiehlt Kooperation statt Konfrontation

Die deutsche Vattenfall Europe AG hatte sich so in eine ähnliche Lage manövriert wie ein Jahr zuvor der schwedische Mutterkonzern, als er einen Störfall im Kernkraftwerk Forsmark zu verharmlosen versuchte (060807) und dadurch auch in Deutschland den Ausstiegsbefürwortern Auftrieb gab (060808). Allgemein gilt Vattenfall als pannenträchtiges Unternehmen mit einer maroden Sicherheitskultur (070210). Mitte Juli entschloß sich deshalb die Stockholmer Konzernzentrale, den Lauf der Dinge nicht mehr allein dem deutschen Management zu überlassen: "Es hat sich eine äußerst unglückliche Situation in Deutschland entwickelt", erklärte der Vorstandsvorsitzende Lars Göran Josefsson gegenüber der "Berliner Zeitung" (16.7.). "Wir waren unfähig, richtig zu kommunizieren."

Erstes Anzeichen für den Kurswechsel war die Bereitschaft von Vattenfall, auch das Reaktorpersonal befragen zu lassen, was bisher wegen dessen angeblicher Schutzbedürftigkeit und unter Hinweis auf eine unternehmenseigene Untersuchung abgelehnt worden war. Noch am 10. und 11. Juli hatte die Staatsanwaltschaft Lübeck vergebens versucht, die Namen der betroffenen Mitarbeiter zu erfahren. Die Leitung des Kernkraftwerks Krümmel gab die Namen erst heraus, als die Kripo mit einem Durchsuchungsbefehl anrückte. Am 16. Juli konnten Schichtleiter, Reaktorfahrer und weitere Vattenfall-Bedienstete in einem vierstündigen Gespräch durch Vertreter der Atomaufsicht befragt werden.

Ferner erlaubte Vattenfall nunmehr dem Sozialministerium die Veröffentlichung einer Liste mit insgesamt 707 sogenannten Offenen Punkten, die bei der letzten periodischen Sicherheitsüberprüfung des KKW Brunsbüttel vor einem Jahr beanstandet wurden. Bisher hatte Vattenfall die Veröffentlichung der Liste zu verhindern versucht. Am 17. Juli zog der Konzern nicht nur seinen Einspruch beim Verwaltungsgericht Schleswig zurück, sondern veröffentlichte die Liste selber auf seinen Internet-Seiten. Die Liste ist allerdings insofern nur noch von historischer Bedeutung, als Vattenfall inzwischen die erforderlichen Sicherheitsnachweise vorgelegt und in den meisten Fällen bereits eine gutachterliche Bestätigung erhalten hat.

Thomauske wird seines Postens enthoben – Cramer tritt die Nachfolge Rauschers an

Noch deutlicher kam der neue Kurs in den "personellen Konsequenzen" zum Ausdruck, die Vattenfall am 16. Juli bekanntgab: Um "verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen", wurde Bruno Thomauske seines Postens als Geschäftsführers der Vattenfall Europe Nuclear Energy (VENE) enthoben. Zugleich erklärte Johannes Altmeppen als Leiter der Konzernkommunikation von Vattenfall Europe seinen Rücktritt. Zwei Tage später folgte die Mitteilung, daß auch Klaus Rauscher sein Amt als Vorstandsvorsitzender der Vattenfall Europe AG zur Verfügung stelle. Vorläufiger Nachfolger wurde Vertriebsvorstand Hans-Jürgen Cramer, der als Verantwortlicher für die "Kommunikationspanne" bei den jüngsten Strompreiserhöhungen und den Verlust Tausender von Kunden gilt (070605). Einige Tage später stellte Josefsson klar, daß Cramer keine Zwischenlösung sei, sondern die Nachfolge dauerhaft ausüben werde.

Rauscher war einst von Josefsson, der jetzt seine Entlassung verfügte, erst zum Vorstandsvorsitzenden der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) und dann zum Chef des neuen Vattenfall-Konzerns gemacht worden (010901). Zuvor war er Leiter der bayerischen Staatskanzlei und Vorstand der Bayerischen Landesbank. Thomauske war als Beamter beim Bundesamt für Strahlenschutz für Endlagerprojekte zuständig, bevor er 2003 auf die andere Seite des Schreibtischs zu Vattenfall wechselte. Johannes Altmeppen war als früherer Pressesprecher der HEW zu seinem Posten bei Vattenfall gelangt.

Materielle Sorgen braucht sich wohl keiner der drei Gefeuerten zu machen, zumal zwei von ihnen, der offiziellen Lesart zufolge, nicht ihres Postens enthoben wurden, sondern ihren Rücktritt anboten. So wird Rauscher trotz des vorzeitigen Abgangs weiterhin sein vertraglich vereinbartes Grundgehalt von 880.000 Euro bekommen, was bei einer Restlaufzeit von dreieinhalb Jahren mehr als drei Millionen Euro entspricht. Außerdem verfügt er laut Vattenfall-Geschäftsbericht 2006 über eine Pensionszusage in Höhe von knapp einer Million Euro.

Merkel hat nur "begrenztes Mitleid" für Vattenfall

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) glaubt weiterhin, "daß die friedliche Nutzung der Kernenergie verantwortbar ist". Auf einer Pressekonferenz am 18. Juli kritisierte sie jedoch die Informationspolitik von Vattenfall als "nicht akzeptabel". Es seien "dramatische Fehler" gemacht worden, die sich so nicht wiederholen dürften. Ihr Mitleid mit dem gescholtenen Unternehmen halte sich deshalb in Grenzen.

Carstensen sieht keine Chance mehr für Verlängerung der Restlaufzeiten

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) sieht nach der Affäre keine Chance mehr, die von Vattenfall betriebene Verlängerung der Restlaufzeit für Brunsbüttel durchzusetzen, für die sich bisher auch sein Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) eingesetzt hatte. "Nach den jüngsten Ereignissen gehe ich nicht mehr davon aus, daß eine Verlängerung des Restlaufzeiten politisch noch durchsetzbar ist", sagte er den "Lübecker Nachrichten" (24.7.). "Ich bedauere das, aber das ist meine Einschätzung der Situation, die nicht nicht zu entscheiden habe. Der Zug ist abgefahren."

Vattenfall setzt eine "unabhängige Expertenkommission" ein

Unter großem medialen Getöse - die "Tagesschau" brachte die Nachricht sogar als Spitzenmeldung - traf sich am 27. Juli in Krümmel eine von Vattenfall einberufene "unabhängige Expertenkommission" zu ihrer ersten Arbeitssitzung. Sie soll parallel zur amtlichen Atomaufsicht die Vorgänge in den beiden Kernkraftwerken untersuchen und Verbesserungsvorschläge erarbeiten. Mitglieder der Kommission sind der frühere Vorsitzende der Reaktorsicherheitskommission, Alfred Birkhofer, der Kommunikationsberater Richard Gaul, der emeritierte Arbeits- und Organisationspsychologe Winfried Hacker, der Präsident des Branchenverbands Swissnuclear, Peter Hans Hirt, und der TÜV-Oberingenieur Wolfgang Preuß. Keiner der Genannten gilt als kernkraftkritisch. Vattenfall hat für Entlohnung und Spesen der Kommissionsmitglieder einen Etat von fünf Millionen Euro bereitgestellt.