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Der Regulator kommt

Bundesregierung versucht vergebens, die "Wettbewerbsbehörde" zu einem möglichst zahnlosen Gebilde zu machen


Der Chef der neuen Regulierungsbehörde, Matthias Kurth.

Im Juni 2003 erließ die EU-Kommission eine neue Richtlinie zur beschleunigten Öffnung der Binnenmärkte für Strom und Gas. Neben der rechtlichen Trennung des Netzbetriebs von anderen Geschäftsbereichen schrieb sie verbindlich die Einrichtung von Regulierungsbehörden vor, die es bereits in allen EU-Staaten mit Ausnahme von Deutschland gab. Damit war klar, daß die Tage der freiwilligen Verbändevereinbarungen gezählt waren und daß künftig eine Behörde über die Höhe der Netznutzungsentgelte wachen werde. Unklar blieb vorerst allerdings, wieviel "Biß" bzw. welche Vollmachten die Regulierungsbehörde erhalten würde.

Der neue Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und sein Staatssekretär Wilhelm Adamowitsch (beide SPD) ließen nichts unversucht, um die deutsche Regulierungsbehörde zu einem möglichst zahnlosen Gebilde zu machen. Sie sprachen auch nicht von einer Regulierungsbehörde, sondern von einer "Wettbewerbsbehörde". Und diese stellten sie sich lediglich als eine Art Aufpasser vor, der die Verbändevereinbarungen nicht abschaffen, sondern genehmigen und überwachen sollte. Eine etwas schärfere Gangart schlugen sie erst ein, als die Gaswirtschaft im Mai 2003 keinerlei Bereitschaft zeigte, einen entfernungsunabhängigen Transporttarif zu akzeptieren. "Die Verbände haben eine wichtige Chance vertan, die nach den europäischen Vorgaben einzurichtende Regulierung möglichst schlank zu halten", bedauerte Adamowitsch. Man werde nun nicht umhin können, den "Netzzugang umfassend zu regeln".

Aber noch immer verhielt sich die Bundesregierung gegenüber den neuen EU-Bestimmungen wie ein Hund, den man zum Jagen tragen muß. Beispielsweise wäre die Regulierungsbehörde nach Clements Gesetzenwurf lediglich zu einer nachträglichen Überprüfung der Netzentgelte ermächtigt worden. Außerdem hätte sie diese Überprüfung nur in den engen Grenzen des sogenannten Vergleichsmarktkonzeptes vornehmen dürfen, das mit der dritten Strom-Verbändevereinbarung eingeführt worden war. Sie hätte also nicht die tatsächlichen Kosten der Netzbetreiber überprüfen dürfen, sondern blindlings alle Netzentgelte akzeptieren müssen, die denen "eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen".

Bundesrat setzt Vorab-Genehmigung der Netzentgelte und "Anreizregulierung" durch

Auf Drängen des Bundesrats fiel dann aber das neue Energiewirtschaftsgesetz, das am 13. Juli 2005 in Kraft trat, doch wettbewerbsfreundlicher aus: Vor allem wurde das Prinzip der „Anreizregulierung“ (§ 21a) mit aufgenommen. Demnach kann die Regulierungsbehörde Höchstgrenzen für die Netzentgelte festsetzen, die sich an den Kosten der günstigsten vergleichbaren Netzbetreiber orientieren. Weniger effektive Netzbetreiber sollen so zu Anpassungen ihrer Kostenstrukturen und Verbesserung ihrer Effizienz gezwungen werden. Bis zum Wirksamwerden dieser Anreizregulierung mit der Festsetzung von Höchstgrenzen mußten die Netzentgelte von der neuen „Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen“ vorab genehmigt werden (§ 23a).

Das neugefaßte Energiewirtschaftsgesetz beseitigte in § 20 1b das wettbewerbsuntaugliche Transportpfadmodell der Verbändevereinbarung Gas, das auf den Einzelfall bezogen und entfernungsabhängig war. An dessen Stelle trat ein Zwei-Wege-Modell ("entry-exit"), bei dem für die Ein- und Ausspeisung von Gas jeweils separate, von einander unabhängige Verträge geschlossen wurden. Weitere Einzelheiten regelten die Verordnung über den Zugang zu Gasversorgungsnetzen (Gasnetzzugangsverordnung - GasNZV) und die Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu Gasversorgungsnetzen (Gasnetzentgeltverordnung - GasNEV).

Die Kernpunkte des Regulierungsmodells

Auf der neuen gesetzlichen Grundlage erarbeitete die Bundesnetzagentur ein Modell für den Netzzugang, das ab Oktober 2006 in Kraft treten sollte und folgende Kernpunkte umfaßte:

Abschluss von nur zwei Verträgen: Allen Lieferanten/Transportkunden wird es zukünftig ermöglicht, einen Letztverbraucher/Kunden mit dem Abschluss von nur zwei Zugangsverträgen und nur zwei Kapazitätsbuchungen zu beliefern. Erforderlich ist zukünftig nur noch der Abschluss eines Einspeisevertrags und eines Ausspeisevertrags. Alle weiteren für die Abwicklung des Netzzugangs notwendigen Maßnahmen werden im Innenverhältnis der Netzbetreiber untereinander abgewickelt. Dies erleichtert den Abwicklungsaufwand für alle neuen und alten Lieferanten erheblich.

Abwicklung in Anlehnung an den Strombereich: Der Netzzugang wird in diesem Modell in Anlehnung an den Strombereich abgewickelt, das heißt über einen Ausspeisevertrag wird der Zugang zur "höchsten Netzebene" und damit zum Handelspunkt gewährleistet. Parallel zum Strombereich wird innerhalb eines Marktgebiets eine Kosten- und Entgeltwälzung über alle beteiligten Netzebenen durchgeführt. Die Kosten- und Entgeltwälzung erfolgt auf Basis interner Bestellungen der Netzbetreiber untereinander für die gesamten aus den vorgelagerten Netzen übernommenen Gasmengen (Mengen aus Einzelbuchungen werden im Wege einer "als ob Betrachtung" einbezogen). Auf diese Weise kann auf die im Strombereich bereits etablierten Abwicklungs- und Abrechnungsmechanismen sowie Verträge und EDV zurückgegriffen werden. Dies ist kostengünstig und effizient, wie es der Gesetzgeber fordert.

Netzbetreiberübergreifende Marktgebiete: Es werden vertikal integrierte netzbetreiberübergreifende Marktgebiete definiert und veröffentlicht, in denen der Transportkunde gebuchte Kapazitäten an Ein- und Ausspeisepunkten flexibel nutzen kann. Innerhalb dieser Marktgebiete sind Kundenwechsel nach einem stark vereinfachten Verfahren möglich. Die Zahl der Marktgebiete wird im ersten Schritt die Zahl 20 nicht überschreiten und wird durch die Gaswirtschaft sukzessive weiter verringert. Die Bundesnetzagentur wird die Zahl der Marktgebiete überprüfen und diese ggf. zusammenlegen. Die Minimierung der Zahl der Marktgebiete wird wesentlich für das Funktionieren des Zugangssystems sein.

Virtuelle Handelspunkte: Innerhalb jedes Marktgebiets werden auf der Ebene der überregionalen Ferngasnetze sog. virtuelle Handelspunkte eingerichtet, an denen Gas geliefert und gehandelt werden kann. Der Zugang zu diesem virtuellen Handelsplatz erfolgt über einen Einspeisevertrag/Einspeisekapazitätsbuchung mit dem Einspeisenetzbetreiber und einem Ausspeisevertrag/Ausspeisekapazitätsbuchung mit dem Ausspeisenetzbetreiber. Für den reinen Handel von Gas an diesen Punkten ist keine gesonderte Buchung von Kapazitäten erforderlich. Dies wird den Handel erleichtern, sofern sich an den Punkten eine ausreichende Liquidität einstellt.

Preistransparenz: Es wird eine Preistransparenz hinsichtlich der Netznutzungsentgelte dadurch geschaffen, dass jeder Netzbetreiber, aus dessen Netz Gas an Kunden ausgespeist bzw. geliefert wird, die Höhe der Netznutzungsentgelte bis zum jeweiligen virtuellen Handelspunkt ausweist und veröffentlicht. Auf diese Weise wird eine Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit der Netznutzungsentgelte ermöglicht.

Lieferantenwechsel: Reine Lieferantenwechsel (ohne Kapazitätserhöhungen) innerhalb eines Marktgebiets sind zukünftig ohne zusätzliche Kapazitätsprüfungen möglich. Lieferantenwechsel über Marktgebiete hinweg sind im Rahmen ungenutzter saldierter Kapazitäten zu den vorgelagerten Netzen möglich. Diese werden auf Basis der Differenz zwischen installierter maximaler Kapazität zum vorgelagerten Netz und der auf der Grundlage historischer Lastflüsse zwischen den Netzbetreibern bestellten maximalen Kapazitäten zum vorgelagerten Netz ermittelt. Hierfür ist die Durchführung eines internen Bestellverfahrens zwischen den Netzbetreibern für alle Mengen (auch jene aus dem Einzelbuchungsverfahren) erforderlich.

Ausgangszuordnung aller Endkunden: Für die Vereinfachung des Lieferantenwechsels und die Herstellung der Preistransparenz ist eine Ausgangszuordnung aller Endkunden zu bestimmten Marktgebieten notwendig. Diese wird von Lieferant und Netzbetreiber gemeinsam nach transparenten und nicht diskriminierenden Kriterien auf der Basis tatsächlicher Lastflüsse im Netz durchgeführt und von der Bundesnetzagentur überprüft. Die Zuordnung der Kunden ist veränderbar. Sie soll keine Einschränkung, sondern Vereinfachung von Kundenwechselprozessen ermöglichen.

Marktgebietsüberschreitende Transporte: Für die Abwicklung von marktgebietsüberschreitenden Transporten und Transiten sind vom Händler entsprechende Exit- und Entry-Kapazitäten (Austauschkapazitäten) zu buchen. Austauschkapazität ist die Ein- und Ausspeisekapazität von einem Marktgebiet in ein anderes Marktgebiet. Ebenso zu diskutieren ist, wie das Verfahren im Einzelnen noch weiter vereinfacht werden kann.

Bilanzkreisführung: Die übergeordnete Bilanzkreisführung erfolgt in jedem Marktgebiet durch den jeweiligen überregionalen Fernleitungsnetzbetreiber. Alle transportierten Gasmengen (auch solche aus Citygate/Regiogateverträgen) sind hier zu bilanzieren. Eine Subbilanzkreisbildung ist möglich. Mengendifferenzen aus den Subbilanzkreisen werden in den übergeordneten Bilanzkreis weitergegeben. Hierdurch wird eine einheitliche Bilanzkreis- und Kontenführung ermöglicht, ohne zugleich Kundeninformationen aufzudecken.

Einbindung von Speichern: Eine Einbindung von Speichern ist im Zwei-Vertrags-Modell möglich. Hierfür schließt der Kunde die beschriebenen Zugangsverträge sowie einen Speichervertrag mit dem Speicherbetreiber, wofür er Kapazitäten bzw. Speicherleistungen (Ein- und Ausspeicherleistung etc.) bucht. Speicher sind kein Netzbestandteil. Verminderte Netznutzungen durch die Einbindung von Speichern werden erstattet bzw. unmittelbar vom
Netznutzungsentgelt abgezogen.

Abweichend von der eigentlich klaren Bestimmung in § 20 1b EnWG räumte die Bundesnetzagentur auf Wunsch von BGW und VKU neben dem Zwei-Vertrags-Modell die Möglichkeit ein, an den Netzkoppelungspunkten auch Einzelkapazitätsbuchungen vorzunehmen. Sie verband diese Option aber mit dem Vorbehalt, daß sie nicht zu Störungen des gesetzlichen Regelmodells führen, keine Diskriminierungen oder Kapazitätsvernichtungen auslösen und im Ergebnis wirkungsgleich sein müsse.