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Gazprom ante portas

 

Der russsische Gaslieferant will selber auf dem deutschen Markt aktiv werden und spielt seine Partner gegeneinander aus

 

Gazprom-Zentrale in Moskau

Schon in den achtziger Jahren war die damalige Sowjetunion für die Bundesrepublik zum wichtigsten Erdgas-Lieferanten geworden. Für die DDR, die ebenfalls seit 1973 russisches Erdgas bezog, war sie sogar der einzige Lieferant. Im übrigen konnten die beiden Lieferverträge allerdings kaum miteinander verglichen werden, da sie unter völlig unterschiedlichen Umständen zustande kamen.

Die russischen Gaslieferungen für die Bundesrepublik liefen über die Tschechoslowakei und wurden bei Waidhaus ins Transportnetz der Ruhrgas eingespeist. Diese war alleiniger Importeur. Die Lieferungen für die DDR kamen ebenfalls über die Tschechoslowakei und wurden bei Sayda in Sachsen von der VNG übernommen.

Im Unterschied zur Bundesrepublik verwendete die DDR das russische Erdgas fast nur für industrielle Zwecke und zur Stromerzeugung. Die VNG unterhielt dafür ein besonderes Leitungsnetz von 1700 Kilometer Länge. Lediglich ein kleinerer Teil diente der Versorgung Ost-Berlins sowie der zusätzlichen Erzeugung von Stadtgas für die kleineren Verbraucher, das normalerweise aus einheimischer Braunkohle gewonnen wurde.

Ruhrgas nicht mehr Alleinimporteur von russischem Erdgas

Bei der Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland nutzte der russische Lieferant Gazprom das Verschwinden seines bisherigen Vertragspartners in Gestalt der DDR-Regierung, um die für die ostdeutsche Verbundnetz Gas (VNG) bestimmte Menge Gas auf gut kapitalistische Weise neu zu vermarkten. Er entschied sich dabei bewußt nicht für den bisherigen Alleinabnehmer Ruhrgas, der auch bei der VNG das Sagen hatte, sondern ging eine Allianz mit dem Chemiekonzerns BASF ein, der sich aus der Abhängigkeit vom Lieferanten Ruhrgas befreien wollte. Die BASF-Tochter Wintershall und Gazprom gründeten zwei Gemeinschaftsunternehmen für den Erdgas-Handel (WIEH) und den Aufbau eines eigenen Transportnetzes (Wingas). Nach einem drei Jahre dauernden "Gaskrieg" um die Belieferung der VNG hatten sie ihre Preisforderungen durchgesetzt und sich als zweiter Erdgas-Importeur am deutschen Markt etabliert.

Die geschäftlichen Beziehungen mit der Ruhrgas wurden durch den Streit nicht untergraben. Die Ruhrgas beteiligte sich nun sogar mit einigen Prozent an der Gazprom und war seit dem Jahr 2000 durch ihren Vorstandsvorsitzenden Burckhard Bergmann im Direktorenrat des russischen Partners vertreten.

BASF und E.ON müssen beim Bau der Ostsee-Pipeline mitmachen


Bundeskanzler Schröder und Kremlchef Putin assistieren bei der Unterzeichnung der Grundsatzvereinbarung über die Beteiligung der BASF am Bau der Nordeuropäischen Gaspipeline am 11. April 2005 in Hannover und geben damit der formal privatrechtlichen Vereinbarung den regierungsamtlichen Segen. Links neben Schröder der BASF-Vorstandsvorsitzende Jürgen Hambrecht, rechts neben Putin Gazprom-Chef Alexej Miller.

Die Gazprom verfügte also fortan mit Ruhrgas und BASF/Wintershall über zwei deutsche Geschäftspartner. Daraus ergab sich für sie die Möglichkeit, die beiden gegeneinander auszuspielen. Zum Beispiel wollten sich anfangs weder E.ON Ruhrgas noch die BASF mit dem Projekt einer Pipeline durch die Ostsee anfreunden, das den Russen ein Herzensanliegen war. Sie hegten Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Vorhabens, weil die Kapazität der bestehenden Verbindungen grundsätzlich ausreiche. E.ON beließ es deshalb bei einer unverbindlichen Absichtserklärung ohne Investitionszusage, die im August 2004 unterzeichnet wurde. Die BASF wurde dann aber schnell verbindlicher, als ihr die Gazprom die Beteiligung am neuen sibirischen Gasfeld Jushno Russkoje anbot. Im April 2005 vereinbarten beide Seiten sowohl die gemeinsame Erschließung und Ausbeutung des Erdgasfelds als auch den Bau der Pipeline durch die Ostsee. Nun sah die E.ON Ruhrgas ihre Felle davonschwimmen und trat dem Konsortium ebenfalls bei.

Die Russen wollten die Direktverbindung durch die Ostsee natürlich nicht aus Kapazitätsgründen. Es ging ihnen darum, die osteuropäischen Staaten, die bisher über die Transitleitungen als Faustpfand verfügten, bei Preisverhandlungen um Erdgas und anderen Konflikten besser unter Druck setzen zu können. So hatten sie im Januar 2006 die Lieferungen an die Ukraine gekürzt, um höhere Gaspreise durchzusetzen. Stattdessen kam jedoch in Westeuropa weniger Gas an, da die Ukraine sich aus der für den Transit bestimmten Menge bediente.

Gazprom verlangt direkte Beteiligung am E.ON-Konzern

Schon Ende 1990 hatte Gazprom sich als deutsche Tochter die ZZG Zarubezhgaz-Erdgashandel-Gesellschaft mbH zugelegt, die für ihre Mutter vor allem die Beteiligungen an Wingas, WIEH und VNG hielt. Geschäftsführer der Tochter wurde der frühere Regierungsbeauftragte der DDR für den Erdgasleitungsbau, Hans-Joachim Gornig. Dieser soll kurz vor dem Ende der DDR an die Gazprom mit dem Vorschlag herangetreten sein, die russischen Erdgas-Lieferungen künftig über eine private Gesellschaft laufen zu lassen, um die Gewinne zum beiderseitigen Vorteil abzuschöpfen. Daraus wurde zwar nichts, aber offenbar sah Gazprom in Gornig den richtigen Mann, um künftig die Aktivitäten in Deutschland zu leiten.

Im Dezember 2005 verkündete Gornig erstmals öffentlich die Absicht des russischen Staatskonzerns, sich nicht mehr auf die Rolle des Lieferanten zu beschränken, sondern selber auf dem deutschen Markt aktiv zu werden. Zum Beispiel denke man daran, sich an größeren Stadtwerken zu beteiligen. Außerdem wolle man die bereits bestehende Beteiligung an der VNG ausbauen, die derzeit leider nur fünf Prozent betrage.

Den geeignetsten Türöffner sah Gazprom im E.ON-Konzern, der über die Ruhrgas und seine Vertriebsgesellschaften den deutschen Markt dominierte. Nach bewährtem Muster lockten die Russen erst einmal mit einer Grundsatzvereinbarung zur Beteiligung an ihrer Gasförderung, um dann den Brotkorb immer höher zu hängen. Zuerst verlangten sie eine Beteiligung am Konzern selber, dann an Tochtergesellschaften. E.ON wollte aber nur die Beteiligung an osteuropäischen Töchtern gewähren. Zwei Jahre nach der ersten Absichtserklärung bekam E.ON im Juli 2006 schließlich einen Rahmenvertrag über die Beteiligung am Erdgasfeld Jushno Russkoje. Er sah vor, E.ON wie die BASF mit 25 Prozent zu beteiligen, wofür Gazprom Beteiligungen an zwei ungarischen Gasunternehmen und weitere Ausgleichsleistungen erhalten sollte. Dann verlangten die Russen aber offenbar Nachverhandlungen, denn im Dezember 2007 hieß es plötzlich, daß Gazprom nun auch an Kraftwerken in verschiedenen europäischen Ländern sowie Erdgasspeichern beteiligt werde. Als weitere Gefälligkeit unterzeichnete E.ON im März 2008 eine Absichtserklärung über den gemeinsamen Bau eines Gaskraftwerks am Standort Lubmin, wo die Ostsee-Pipeline anlanden sollte. Aber auch jetzt war der Handel noch nicht in trockenen Tüchern: Als im Laufe des Jahres 2008 wegen eines Rekordanstiegs der Ölpreise auch die damit gekoppelten Gaspreise stark anzogen, scheint Gazprom erneut auf direkte Beteiligung an der E.ON-Holding gedrungen zu haben.

EU besorgt über drohende Abhängigkeit von Rußland

Die EU-Kommission verfolgte die Gazprom-Aktivitäten mit Besorgnis, da sie eine zu große Abhängigkeit von russischen Lieferungen befürchtete. Schließlich war Gazprom kein normales Unternehmen, nicht einmal ein normales Staatsunternehmen, sondern die wirtschaftliche Basis eines autoritären Regimes. Mit den Erlösen aus dem Erdgas-Export bestritt Gazprom nicht nur den Großteil der russischen Staatsausgaben, sondern sorgte nebenbei auch für die Gleichschaltung der Medien. Ein Teil des Geldes versickerte nach wie vor in mafiös-korrupten Beziehungsgeflechten. Es gab in Rußland zwar formal demokratische Strukturen, in Wirklichkeit aber nicht einmal Rechtssicherheit. Sehr deutlich zeigte sich dies, als Kremlchef Putin den Chef des Erdölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowskij, durch eine willfährige Justiz in ein sibirisches Straflager stecken ließ, weil dieser seine Politik kritisiert hatte. Ferner hatte Putin deutlich gemacht, daß ausländische Investoren in der Energiewirtschaft des Landes nur als Geldgeber willkommen waren und sich auf Minderheitsbeteiligungen zu beschränken hatten. Wenn Gazprom den uneingeschränkten Zutritt zum westeuropäischen Energiemarkt verlangte, war das also höchst einseitig, da Unternehmen aus den EU-Staaten eben diese Möglichkeit in Rußland nicht besaßen.

Als Konkurrenzprojekt zur Ostsee-Pipeline unterstützte die EU den Bau einer 3300 Kilometer langen Leitung namens "Nabucco", die ab dem Jahr 2013 die Erdgasquellen im Nahen Osten erschließen und unter Umgehung Rußlands auch den Transport von Erdgas aus dem Raum des Kaspischen Meers nach Westeuropa ermöglichen sollte. Von deutscher Seite beteiligte sich der Essener RWE-Konzern an dem Projekt. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ließ sich dagegen auf die Gehaltsliste von Gazprom setzen: Als Aufsichtsratsvorsitzender des Ostsee-Projekts, das er bereits als Regierungschef vorangetrieben hatte – gemeinsam mit Kremlchef Putin, den er als "lupenreinen Demokraten" bezeichnete.

"Schalke 04" poliert das Image des Staatsmonopolisten

Die Gazprom wußte natürlich um ihr negatives Image, das ein ernsthaftes Hindernis bei der wirtschaftlichen Betätigung war und den Erwerb eines größeren Stadtwerks oder gar des RWE-Konzerns, der immer wieder mal als Übernahmekandidat genannt wurde, zum politischen Skandal gemacht hätte. Sie gab deshalb erst mal viel Geld für Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit aus. Die deutsche Tochter ZZG Zarubezhgaz-Erdgashandel-Gesellschaft mbH nahm im Oktober 2006 den weniger russisch klingenden Namen Gazprom Germania GmbH an. Zugleich wurde Gazprom für fünf Jahre der Hauptsponsor des populären Fußballverein Schalke 04. Gegen eine nicht genannte, aber sicherlich sehr hohe Summe traten die Spieler des Vereins nun mit Gazprom-Logos auf ihren Trikots an. Ferner unterstützte Gazprom allerlei kulturelle Veranstaltungen, um auch bei einem anspruchsvolleren und besser informierten Publikum die düsteren Assoziationen des Firmennamens zu verdrängen.