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Vom Leuchtgas zum Stadtgas


Der Gas-Glühstrumpf übertrifft auf diesem Plakat zu Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur Kerzenleuchter und Petroleumlampe an Helligkeit und Preiswürdigkeit. Er stellt sogar das elektrische Licht in den Schatten...

Einen neuen Schub erhielt die Gaserzeugung durch den "Gasglühstrumpf", den 1885 der Chemiker Carl Auer von Welsbach erfand und der in den neunziger Jahren in verbesserter Form den Markt eroberte. Der Glühstrumpf hieß so, weil man ihn aus einem textilen Gewebe erzeugte, das mit Thoriumnitrat und einer Prise Ceriumnitrat getränkt worden war. Wenn man dieses Gewebe veraschte, lieferte das verbleibende mineralische Gerüst unter Hitzeeinwirkung ein gleißendes Licht. Damit vervielfachte sich die Lichtausbeute.

Bis dahin hatte man viel Mühe darauf verwendet, ein Gasgemisch zu erzeugen, das mit möglichst heller Flamme verbrannte. Das war nun nicht mehr nötig. Es kam nur noch auf die Hitze an. Der Glühstrumpf revolutionierte die Gasbeleuchtung. Eine Zeitlang sah es sogar so aus, als könne er sich gegenüber der neu aufkommenden elektrischen Beleuchtung behaupten.

Elektrische Beleuchtung bleibt vorerst die Ausnahme

In der Küche störte die helle Flamme ohnehin, weil sie relativ wenig Hitze erzeugte und zum Rußen neigte. Man begann deshalb nun sogar, das Gas zu "entleuchten", indem man ihm vor der Verbrennung Luft beimischte. Das Prinzip war seit 1855 bekannt, als der Chemiker Wilhelm Bunsen den nach ihm benannten Laboratorium-Brenner erfand.

Von 1859 bis 1885 wuchs die Leuchtgas-Erzeugung in Deutschland von rund 44 auf 479 Millionen Kubikmeter. Im Jahr 1900 erreichte sie rund 1200 Millionen Kubikmeter. Davon dienten etwa 56 Prozent zur Beleuchtung in Gebäuden, 15 Prozent zur Straßenbeleuchtung, 18 Prozent als Koch- und Heizgas und 10 Prozent zum Betrieb von Gasmotoren. Das restliche eine Prozent entfiel auf den Eigenverbrauch der Gasanstalten.

Das Leuchtgas diente also auch an der Wende zum 20. Jahrhundert noch immer zu gut siebzig Prozent der Beleuchtung. Insofern trug es seinen Namen weiterhin zu Recht. Elektrisches Licht blieb vorerst die Ausnahme, zumal es teurer als Gaslicht war und nur in wenigen Gebieten zur Verfügung stand. Sogar in Berlin waren 1914 erst 5,5 Prozent der Haushalte an das Stromnetz angeschlossen.

Mit der Ausbreitung der Stromversorgung setzte sich dann aber immer mehr die elektrische Beleuchtung durch. Die Glühlampe belastete die Luft nicht mit Verbrennungsgasen und Sauerstoffentzug. Sie konnte durch Drehen eines Schalters ein- und ausgeschaltet werden. Es waren weder Explosionen noch Vergiftungen zu befürchten. Das elektrische Licht war in jeder Hinsicht sauberer, bequemer und sicherer.

Statt Licht liefert Gas zunehmend Wärme und Kraft


Plakat der Zentrale für Gasverwertung aus dem Jahr 1911: Durch vermehrten Einsatz von Leuchtgas zur Wärmeerzeugung und für motorische Anwendungen konnten die Absatzeinbußen infolge Vordringens der elektrischen Beleuchtung mehr als ausgeglichen werden.

Die schwindende Anzahl an Licht-Kunden wurde indessen durch den vermehrten Einsatz von Gas für Kochen, Heizen und motorische Anwendungen mehr als ausgeglichen. Die Gaswerke mußten deshalb ihre Erzeugung weiter erhöhen. 1925 stellten sie rund 3,2 Milliarden Kubikmeter her. Sie hatten also ihre Produktion gegenüber dem Anfang des Jahrhunderts mehr als verdoppelt.

Die Bezeichnung Leuchtgas war inzwischen nicht mehr zeitgemäß. Sie war sogar ein Hindernis bei der Gewinnung neuer Koch-, Heiz- und Kraftkunden. Ab den zwanziger Jahren sprach man deshalb von "Stadtgas". Die neue Bezeichnung unterstrich zugleich, daß die Gaswerke der öffentlichen Versorgung dienten und überwiegend von den Städten betrieben wurden.

Kommunen übernehmen das lukrative Geschäft in eigene Regie

Die ersten Gasanstalten waren fast durchweg private Gründungen. Die Kommunen beschränkten sich in der Regel darauf, kapitalkräftigen Einzelpersonen oder Gesellschaften die "Konzession" für die Verlegung von Leitungen zu erteilen. Als Gegenleistung sorgten die Unternehmen für die Straßenbeleuchtung, zahlten eine Abgabe an die Stadt oder hatten andere Vertragsbedingungen zu erfüllen. Außerdem sicherten sich die Kommunen meistens das Recht, nach Ablauf des Konzessionsvertrags die Gasversorgung selber übernehmen zu können.

Die Gasversorgung erwies sich als ein recht lukratives Geschäft. Allerdings waren die privaten Unternehmen kaum bereit, dort zu investieren, wo weniger zu verdienen war. Dazu gehörten etwa Außenbezirke, an deren Entwicklung wiederum den Stadtverwaltungen gelegen war. So gab es einen Konflikt zwischen Allgemeininteresse und privatem Gewinnstreben, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts die meisten Städte veranlaßte, auslaufende Konzessionsverträge nicht mehr zu erneuern oder die Gasversorgung von vornherein in eigener Regie zu betreiben.

Anfang der sechziger Jahre gab es im Deutschen Reich insgesamt 266 Gasanstalten, von denen vier Fünftel private Eigentümer hatten. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert gehörten den Städten schon 56 Prozent von insgesamt 869 Gasanstalten. Bis 1912 besaßen die Kommunen 67 Prozent der nunmehr 1139 Gasanstalten und bestritten rund 82 Prozent der deutschen Gaserzeugung.

Die Gasversorgung blieb auch in kommunaler Regie ein einträgliches Geschäft. Anfang des 20. Jahrhunderts waren ihre Renditen doppelt so hoch wie bei der kommunalen Elektrizitätsversorgung. Kein Wunder, daß die Städte dieses Geschäft nicht länger privaten Eigentümern überlassen wollten.